Wie das Fahrrad zum Statussymbol wurde
NACHHALTIG MOBIL Die Corona-Pandemie ließ deutlich mehr Hamburger in die Pedale treten – Experten erklären den Bike-Boom
Ob handgefertigter Stahlrahmen, Elektromotor mit Boost-Knopf oder ein Anhänger mit Platz für zwei bis vier Kleinkinder: Unter dem Motto „Zeig mir dein Rad und ich sag dir, wer du bist“entwickeln sich Fahrräder immer mehr zum Ausdruck des eigenen Lebensgefühls. Warum eigentlich?
Gravelbikes für den flexiblen Halbtags-Abenteurer, Lastenräder für den Öko-Bewussten und Leihräder für den Postmaterialisten: Angesichts der aktuellen, überdeutlichen Fahrradtrends ließe sich fast eine Typologie der Hamburger Radfahrer erstellen. Nur anhand seiner Fahrradwahl lässt sich natürlich nicht jeder Mensch in eine Schublade stecken – doch bei der großen Auswahl auf dem Markt ist sie auch eins: ein Statement.
„Mit bestimmten Gegenständen oder Verhaltensweisen kann ich der Welt um mich zeigen, wer ich bin – oder nicht bin“, erklärt Martin Seeliger, Kultursoziologe an der Uni Hamburg, der MOPO. Durch die Pandemie hat der ohnehin wachsende Trend noch mal richtig zugelegt: 2020 fuhren 33 Prozent mehr Radler durch die Stadt als im Vorjahr, Verkaufszahlen stiegen.
„Wir haben rund 40 Prozent mehr verkauft als die Jahre zuvor“, sagt Yasmin Kirchhoff von dem Hamburger Laden „Bikefactory“zur MOPO. Dieses Jahr nehme das zwar wieder etwas ab, die Geschäftsführerin rechnet aber weiter mit steigenden Verkaufszahlen. „Radfahren verkörpert ein bestimmtes Lebensgefühl“, meint Kirchhoff. Die Wahl des passenden Rades sei dabei mit der der eigenen Kleidung
vergleichbar.
Das findet auch Sonja Siech. Die Hamburgerin mag den Stil der 30er und 40er Jahre und hat sich – passend zur Frisur und Kleidung – für ein restauriertes Rad aus den 40ern entschieden. Mit dem fährt sie jeden Tag rund zehn Kilometer zur Arbeit. Ein
Auto hat die 54-Jährige nicht, dafür gleich sechs Vintage-Räder mit jeweils eigenen Namen, wie „Greta“oder „Ella“. „Die Räder verkörpern für mich Freude, Stil und Freiheit“, sagt die Hamburgerin zur MOPO. „Sie passen einfach zu mir.“
Ein Ausdruck der Individualität also. Laut dem Soziologen Seeliger verkörpert das Rad aber auch größere gesellschaftliche Trends. Einer davon ist das Bewusstsein für Umweltprobleme:
„Da das Fahrrad mit dem eigenen Körper angetrieben wird, ist es mit gängigen Vorstellungen von Nachhaltigkeit, Achtsamkeit und Rücksichtnahme verbunden“, so Seeliger. „Damit kann es mit ruhigem ökologischem Gewissen genutzt werden.“
Besonders im städtischen Umfeld werden Lastenräder zum Autoersatz, transportieren Kinder in Kitas oder Getränkekiste nach Hause – ohne Schadstoffe, dafür mit Außenwirkung. Und auch immer mehr Handwerker und Kleinunternehmer steigen auf Lastenräder um, sagt Kirchhoff, zu mühsam sei für viele die Parkplatzsuche.
Der Hamburger Lars T. hat mit seinem Lastenrad sogar schon Sofateile transportiert, erzählt er der MOPO. Früher sei er wegen seines
Berufs ständig mit dem Auto gefahren. „Der Hamburger Verkehr war mir einfach zu stressig“, sagt er. „Fahrradfahren ist viel entspannter und flexibler.“Mittlerweile hat er vier Fahrräder in einem Gesamtwert von 10.000 Euro: Ein Lastenrad für Einkäufe, ein Klapprad für den Arbeitsweg, das er in die SBahn mitnimmt, und ein Standardrad für alles andere – und ein Velomobil.
Mit diesem Liege-Fahrrad überwindet er bei Tagestouren bis zu 220 Kilometer. „Es ist ein gutes Gefühl, solche Distanzen mit der eigenen Kraft zurückzulegen“, so Lars T. „Zum ‚Tankenfahren‘ esse ich dann eine Pizza“, sagt er und lacht. Mit der Freude am Radsport ist der Hamburger nicht allein: Besonders als während des Lockdowns die Fitnesscenter geschlossen waren, haben auch Fahrräder Hamburger fit gehalten.
„Das Fahrrad ist auch Ausdruck eines grazilen, ge
Der Hamburger Verkehr war mir einfach zu stressig. Fahrradfahren ist viel entspannter und flexibler.
Lars T., Radfahrer