Der „Latex-Typ“mit dem schrägen Hobby
ST. PAULI Wie Max Kuhl „Inner Sanctum“-Chef wurde und warum er jetzt gern in der Wurstküche steht
„Gute Laune, gute Laune, gute Laune!“, ruft der schlanke Mann mit den langen roten Haaren und dem Vollbart. Sein Schlachtruf, um sich zu motivieren. Eigentlich ist er angeschlagen und müde. Aber miese Stimmung ist einfach nicht sein Ding. Max Kuhl (37) ist selbst ernannter „GuteLaune-Bär“. Einer, der jede Party zum Laufen bringt. Und den jeder kennt. Wenn auch nicht mit Namen. Für viele ist er bloß der „Latex-Typ“. Der mit Anfang 20 „Inner Sanctum“kaufte – eines der ältesten und bekanntesten Latex-Labels. Ohne eine Ahnung von Schneidern und Designs zu haben. Eigentlich ist Max Kameramann.
Ordentlich aufgereiht hängen Shirts, Jacken, Stümpfe, Leggins und Ganzkörperanzüge mit Riemen auf den silbernen Kleiderstangen. Die Decken niedrig, der Boden weiß gefliest, hinter den Fenstern eine Betonmauer. Es ist warm im Keller an der Erichstraße. „Die Kunden sollen sich ja auch gerne ausziehen wollen. Wenn Latex zu kalt ist, fühlt es sich an wie eine nasse Badehose“, erklärt Max, der seine eigenen Klamotten vor dem Anziehen an die Heizung hängt.
Max mag Latex. Und besondere Designs. Zwar gibt es vereinzelt auch Stangenware, die meisten Stücke sind jedoch Maßanfertigungen. Wie eine weiße Uniform, die sich ein Koch machen ließ. Nonnen-Outfits oder Latex-Burkas. Vom Pärchen, das ein Jahr lang für ein Outfit gespart hat, bis hin zum Manager, der seine zwei Freundinnen neu einkleidet – das Publikum ist bunt. Besteht aber längst nicht mehr nur aus Fetischisten. Auch Theater und Opernhäuser zählen zu den Kunden. Wie die Bayreuther Festspiele, bei denen sein teuerstes Stück auf der Bühne gezeigt wurde: 3500 Euro für einen hautfarbenen Ganzkörperanzug, der von innen mit Blumenmustern aus acht verschiedenen Farben Flüssiglatex bemalt wurde. Am Ende sah die Sängerin aus, als sei sie nackt und am ganzen Körper tätowiert.
Drei Wochen harte Fummelarbeit – die Max gerne seinem Team überlässt. Nach 15 Jahren „Inner Sanctum“ist er froh, nur noch selten in die Werkstatt zu müssen. Derbe Sachen, wie einen Schlafsack aus Latex, macht er nach wie vor gerne. Wenn es darum geht über Stunden ein Rosenmuster mit der Pinzette zu kreieren, drückt er sich lieber. „Die Herstellung kann sehr frustrierend sein. Latex wird nicht genäht, sondern geklebt. Bis man eine Naht hinkriegt, die nicht wellig, hubbelig oder schief ist, dauert das einige Monate.“
Ein Handwerk, das er sich selber beigebracht hat. Zwar ist Max durch seine Mutter, eine Gewandmeisterin, vorbelastet und nähte schon als Schüler an der Maschine. Doch schneidern oder designen hat er nie gelernt. Er ist eigentlich Kameramann. Auf Latex kam er als junger Mann – nachdem er mit seiner ExFreundin auf einer Fetisch-Party war. Er wollte Outfits schaffen, die er sich selber leisten kann und die nicht „so langweilig sind“. Also gründete er kurzerhand mit einem Freund ein kleines Label. Zwei Jahre verlor er Zeit und Geld. Als er eigentlich schon wieder ganz aus der Szene aussteigen wollte,
Früher dachte ich immer, ich sei komisch. Dann zog ich auf den Kiez und fühlte mich auf einmal ganz normal.
erfuhr Max, dass in London „Inner Sanctum“zum Verkauf steht. „Ich habe einfach angerufen und gesagt: ‚Hey, hier bin ich‘, und auf einmal hatte ich eine große Firma an der Backe.“
Eine enorme Herausforderung für den flippigen Mann. Damals waren sie noch zu dritt. Einer mit Geld, eine Designerin und „ein Verrückter, der die Idee hatte“. Übrig blieb nur der Verrückte mit seinen unzähligen Einfällen. Ein Chaot – wie er selber sagt. Alles andere als der geborene Geschäftsmann. „Ich bin jedermanns Freund und mir ist wichtig, dass am Ende alle glücklich sind.“Sympathisch. Jedoch schwer geschäftsschädigend. Zu häufig gab Max seinen Kunden saftige Rabatte. Sodass am Ende zwar die Kunden glücklich waren, er jedoch weniger. Vor drei Jahren rutschte die Firma in die Insolvenz. Heute macht seine Mitinhaberin Julia die Preise, eine andere Freundin ist als Geschäftsführerin eingestiegen.
Besser fürs Geschäft. Und für Max. „Julia ist viel mehr als meine Geschäftspartnerin. Wir sind jeweils Kind und Elternteil für den anderen. Je nachdem wer von uns gerade was braucht.“Die schlanke Frau mit den Tätowierungen nickt lachend und beteuert, dass sie sich zwar jedes Mal sehr freue Max zu sehen, aber „ich schaffe einfach mehr, wenn du nicht um mich rumwuselst“. Und so wuselt Max nur noch ab und an durch den Laden.
Auch für ihn eine Erleichterung. 15 Jahre lang war er immer nur der „Latex-Typ“. Unerkannt mit seiner Freundin auf eine Fetisch-Party gehen – für Max unmöglich. „In der Szene kennt mich fast jeder.“Allerdings wolle er sich nicht darüber beschweren, wenn er von 30 Latex-Models umringt wird und die anderen Männer den „langhaarigen Bombenleger“nur neidisch beäugen. Max lacht. Und seine Freundin – findet die das genauso lustig? „Wir sind da sehr entspannt. Sie findet Frauen genauso toll wie ich.“Allerdings habe seine Bekanntheit in der Szene dafür gesorgt, dass sie „morgens um 3 Uhr nicht mehr in den Playroom gehen“, sagt Max ganz selbstverständlich. Über Vorlieben und Sexualität sprechen – für ihn offensichtlich so normal wie für andere der Austausch übers Wetter.
Seine Offenheit kam nicht immer gut an. Lange Zeit fühlte Max sich anders. Damals in Groß Borstel. Später auf dem Internat in Dänemark. „Früher dachte ich immer, ich sei komisch. Dann zog ich auf den Kiez und fühlte mich auf einmal ganz normal.“Max arbeitet auf dem Kiez, lebt auf dem Kiez und ist ausschließlich mit Kiezianern befreundet. Wie mit Burlesque-Star Eve Champagne, die kurz im Laden für eine Anprobe vorbeischaut. Demnächst fahren die beiden mit weiteren Freunden in den Urlaub. Das hat Eve kurzerhand entschieden, die WhatsApp-Gruppe „NudistenTrupp Portugal“ins Leben gerufen und Fotos der bereits gebuchten Flugtickets geschickt. „Wir sind uns sehr nah und wissen, was die anderen brauchen. Das ist das Schöne auf dem Kiez. Hier hält man zusammen. Und hilft einander. Ich bin sehr froh da angekommen zu sein, wo ich einfach ich selbst sein kann.“
Das kann er. Und ist er. Der Mann mit den unzähligen Ideen und Projekten. Der durch die Pandemie etwa 95 Prozent der LatexAufträge verlor und als Beschäftigung anfing, Hirsche, Rehe und Wildschweine beim Jäger zu kaufen. „Die zerlegen wir selber und verarbeiten sie.“Gemeinsam mit seiner Freundin hat er im Haus ihrer Mutter eine Wurstküche eingerichtet. Im Carport steht der Räucherschrank. In der Garage
zwei Tiefkühlschränke – „in die theoretisch vier Menschen pro Truhe reinpassen“. Ganz schön schräg. Für Max nichts Besonderes. Er braucht Abwechslung und mag es bunt.
Zuletzt hat er gemeinsam mit Freunden ein CoronaTestzentrum im ehemaligen St. Pauli Museum an der Davidstraße eröffnet, damit ein bisschen Geld reinkommt. Dort steckt er nun regelmäßig Stäbchen in Nasen. Außerdem kümmert er sich um sein jüngstes Projekt. Eine Koopera
tion mit dem „Playboy“. Neue Abonnenten werden „eine Überraschung bekommen, bei der Latex dabei ist“, verrät Max. Mehr darf er dazu nicht sagen. Egal.
Der umtriebige Geschäftsmann ist schon wieder einen Schritt weiter. Die nächste Idee ist längst geboren. Wird aber noch nicht verraten. Max ist sich jedoch sicher: Das wird gut laufen. Und wenn nicht? Max zuckt die Schultern. Dann eben nicht. Erfolg ist schön. Doch sein Motor ist der Spaß – bei allem.