Hamburger Morgenpost

Wir müssen lernen, was unser Essen im Körper auslöst.

- Warum werden wir überhaupt übergewich­tig? Ist es besser, mehr selbst kochen? Und zur Not macht man doch eine Diät? Welche Krankheite­n kann Übergewich­t auslösen? Wie behandeln Sie Patienten mit Adipositas? Welche Operations­möglichkei­ten gibt es?

Der wichtigste Punkt ist sicher, dass wir seit Jahrzehnte­n Zugang zu Nahrungsmi­tteln im Überfluss haben. Industriel­l hergestell­te Nahrungsmi­ttel wurden immer fett- und zuckerhalt­iger. Zudem bewegen wir uns im Job und in der Freizeit nicht mehr so viel wie früher. Zusammen mit der genetische­n Veranlagun­g führt dieses dazu, dass wir über die Jahre die ersten Kilos zu viel bekommen – viele haben genau das in den vergangene­n 18 Monaten der Corona-Pandemie erlebt. Es gibt auch Krankheite­n, beispielsw­eise der Schilddrüs­e, die eine Gewichtszu­nahme als Begleiters­cheinung haben, oder Medikament­e wie Antidepres­siva können ein starkes Hungergefü­hl und damit als Folge auch Übergewich­t auslösen.

Stichwort Lebensmitt­el. Sollten wir besser zu zucker- und fettreduzi­erten Produkten greifen?

Das Problem der fettfreien Lebensmitt­el ist oft, dass ein Geschmack, der uns zufriedens­tellt, nur durch die Beifügung von Zucker oder anderen Zusatzstof­fen erreicht werden kann. Aus ernährungs­physiologi­scher Sicht sind die fettoder zuckerfrei­en Lebensmitt­el oft ungesünder als die natürliche­n mit einem vernünftig­en Mix aus Fett, Eiweiß und Zucker. Die ausgewogen­e Kombinatio­n ist es, die uns satt werden lässt!

Das ist ein ganz, ganz wichtiger Aspekt auch in der konservati­ven Therapie der Adipositas. Uns allen muss wieder ein Verständni­s für eine gesunde Ernährung vermittelt werden. Viele haben nie gelernt zu kochen. Nur wenige wissen, wie die einzelnen Bestandtei­le der Lebensmitt­el auf unseren Stoffwechs­el wirken. Zuckerhalt­ige Nahrungsmi­ttel führen zwar schnell zu einer Sättigung und

Zufriedenh­eit, aber durch die Reaktion des Blutzucker­spiegels auch schnell wieder zu Heißhunger. Das weiß auch die Industrie. Viele der Fertig-Lebensmitt­el haben tatsächlic­h den Effekt, dass sie uns langfristi­g eher in Richtung Überkonsum treiben. Wer sein Gewicht langfristi­g stabilisie­ren möchte, sollte seine Mahlzeiten so oft wie möglich selbst zubereiten. Greifen Sie lieber zum Vollkornbr­ot als zum Weißbrot oder lieber zum Wasser als zum Softdrink. Eine Mischkost mit viel Gemüse, die natürlich auch etwas Fleisch und Kohlenhydr­ate beinhalten darf, ist optimal. Dann kombiniere­n Sie das Ganze noch mit ausreichen­d guter körperlich­er Aktivität, um den Stoffwechs­el auf Trab zu bringen. Sie werden merken, der weitere Anstieg des Gewichts hat kaum mehr eine Chance.

So einfach ist es leider nicht. Ein Problem, das sich über Jahre aufgebaut hat, kann nicht in wenigen Wochen oder Monaten gelöst werden. Denn hier greift ein genetische­r Mechanismu­s, der in uns allen steckt und vor einer zu starken Gewichtsre­duktion schützt. Der Stoffwechs­el reagiert nämlich auf einen Gewichtsve­rlust, indem er alle ihm zur Verfügung stehenden Mechanisme­n in Gang setzt, das verlorene Gewicht wiederzube­kommen – zum Beispiel der Heißhunger auf Fettiges oder Süßes wenige Tage nach Beginn einer Diät. Jeder hat schon vom Jo-Jo-Effekt gehört. Für unsere Patienten standen die ersten Diäten oft am Anfang des immer schneller steigenden Gewichts. Gute Ernährung sorgt auch für Wohlbefind­en?

Ja, eine gute Ernährung hat einen positiven Einfluss auf uns. Ich lade jeden ein, dieses im

Selbstvers­uch zu testen: Ernähren Sie sich gesund, bewegen Sie sich ausreichen­d. Sie werden rasch merken, dass es Ihnen auch psychisch besser geht.

Adipöse Menschen leiden sehr häufig psychisch an ihrer Erkrankung – schließlic­h kann jeder sie sehen. Früh kommt es zu einer Überbelast­ung der Hüft- und Kniegelenk­e oder zu Rückenschm­erzen, im Alltag oft zu Luftnot bei leichter Belastung. Die langfristi­g ernsten Erkrankung­en sind aber die Stoffwechs­el-Erkrankung­en wie Diabetes Typ 2, Bluthochdr­uck und erhöhte Blutfettwe­rte – wir sprechen bei dieser Kombinatio­n vom metabolisc­hen Syndrom. Diese Erkrankung­en wiederum können schwerwieg­ende Folgeerkra­nkungen wie Herzinfark­t oder Schlaganfa­ll auslösen. Man weiß auch aus vielen Statistike­n, dass Menschen mit starkem Übergewich­t aufgrund dieser Erkrankung­en früher sterben als normalgewi­chtige Menschen.

Zunächst einmal: Wer seinem Übergewich­t oder bei wem das Übergewich­t Folgeerkra­nkungen ausgelöst hat, sollte sich immer sionelle Hilfe holen. erwähnt führen kurzfristi­ge Reduktions­diäten oft zu Jo-Jo-Effekt. Sprechen Ihrem Hausarzt. Ernährungs­beraterinn­en helfen bei forderlich­en langfristi­gen Umstellung. Bewegen sich mehr – das hat jeder selbst in der Hand. Wir sind eine Abteilung für Adipositas-Chirurgie.

Die Therapie in unserer Klinik richtet sich an Patienten, die schon eine weit fortgeschr­ittene Adipositas haben, also einen BMI von 40, 50 oder sogar über 60. Diese Menschen sind aus der Phase von „Ich hab ein bisschen Übergewich­t“lange raus und die oben genannten Konzepte helfen nicht mehr. Im Gespräch versuchen wir herauszufi­nden, was die Ursachen sind. Was wurde schon alles unternomme­n? Bei vielen Patienten starten wir mit einer profession­ell begleitete­n konservati­ven Therapie. Das heißt, wir versuchen zusammen mit unseren Ernährungs­und Sportthera­peuten einen Weg zu finden, das Gewicht aus eigener Kraft zu reduzieren. Allerdings ist es so, dass ab einem BMI von 35 oder 40 die Chancen auf Erfolg gering sind, weil die Erkrankung Adipositas einfach weit fortgeschr­itten ist. Für diese Menschen ist eine Operation oft die einzige Chance auf einen langfristi­gen und nachhaltig­en Gewichtsve­rlust.

Es gibt mehrere Methoden: Zum einen können wir den Magen verkleiner­n, die sogenannte Schlauchma­genOperati­on. Eine weitere Möglichkei­t ist der Magenbypas­s. Hier wird die Magenverkl­einerung mit einer Umleitung des Dünndarms kombiniert, sodass Nahrungsmi­ttel nicht mehr vollständi­g verdaut werden und die Kalorienau­fnahme somit reduziert wird. Diese Methode ist sehr effektiv und führt neben dem hervorrage­nden Gewichtsve­rlust oft zu einer deutlichen Besserung der Folgeerkra­nkungen wie Diabetes Typ 2, Bluthochdr­uck, Schlafapno­e oder der Gelenkbesc­hwerden. Aber ein noch viel interessan­terer Aspekt ist, dass die Operation eine hormonelle Umstellung im Körper hervorruft. Die Berichte unserer Patienten sind fasziniere­nd: Viele haben zum ersten Mal seit Jahren das Gefühl, nach einer kleinen Portion wirklich satt und zufrieden zu sein. Sie können ihre Freizeit wieder aktiv gestalten, finden zurück ins Berufslebe­n oder können einfach wieder mit ihren Kindern spielen. Ihr Leben ist im wahrsten Sinne des Wortes leichter geworden.

Niemand würde einem muskelbepa­ckten Mann trotz hohem BMI Übergewich­t unterstell­en. Dr. Johannes Sander

Dr. Johannes Sander

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Dr. Johannes Sander Er ist Chefarzt der Adipositas-Klinik an der Schön Klinik in Eilbek.

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