„Ich habe jeden Stein geliebt“
IN DEN TRÜMMERN Nach den verheerenden Regenfällen bleibt für viele eine Frage: Wieder aufbauen oder gehen?
AHRTAL – Rund zwei Wochen nach der Flutkatastrophe im Ahrtal ist noch immer kein Ende der Aufräumarbeiten abzusehen. Während einige Menschen in der Region aber so langsam wieder leise Hoffnung schöpfen, fehlt anderen einfach die Kraft dazu.
Als Manuela Göken am Tag nach der verheerenden Flutwelle im Ahrtal das dpa-Foto eines Mannes auf einem Wassertank im Internet entdeckt, traut sie ihren Augen nicht. Es ist ihr Mann – Daniel Schmitz – im überfluteten Insul. „Das war das allerallererste Lebenszeichen, das ich von ihm hatte“, erzählt die Gastronomin zwei Wochen später unter Tränen vor ihrem beschädigten Haus. „Das ist das bedeutendste Foto in meinem ganzen Leben.“
Telefon, Handy, Internet und die Zufahrtswege zu dem Dorf an der Ahr waren nach der Flutwelle zerstört. Inzwischen funktioniert das Handynetz wieder einigermaßen und es gibt Wasser. Die schlammigen Müllberge sind größtenteils weg, und die Bundeswehr baut gerade eine Behelfsbrücke neben der zerstörten Bogenbrücke über die Ahr.
Am Tag der Katastrophe am 14. Juli, ist Göken bei der Arbeit im etwa 45 Kilometer entfernten Bonn-Bad Godesberg. Zunächst kommt sie bei einer Freundin in Sinzig unter, fährt dann 24 Stunden umher, um irgendwie nach Hause zu kommen. Erst Stunden später, etwa zwei Tage nach Beginn der verheerenden Regenfälle, fällt sich das Paar im höher gelegenen Nachbarort Hönningen in die Arme. „Wir haben uns wieder, alles andere ist ersetzbar“, sagt Göken rund zwei Wochen später.
„In den ersten zwei Tagen hätte ich weglaufen können“, berichtet Hotelier Wolfgang Ewerts, wenige hundert Meter weiter. „Mittlerweile bin ich überzeugt, wir schaffen das.“Eigentlich habe er sich mit seiner Frau langsam aus dem Betrieb zurückziehen wollen, den seine Mutter 1974 begründet hatte, erzählt der gelernte Koch. „Die Kraft, alles wieder aufzubauen, habe ich zunächst nicht gesehen. Jetzt habe ich sie, aber nur weil mein Sohn mit im Geschäft ist.“
Die untere Etage des Hotels mit Küche und Speisesaal sowie der Biergarten an der Ahr sind zerstört. Alles muss in den Rohbau zurückversetzt werden, aber das Gebäude kann stehen bleiben. In den Zimmern im ersten Stock übernachten freiwillige Helfer. „Da ist eine absolute Dankbarkeit für die Leute, die hier geholfen haben. Das hätte ich nie für möglich gehalten.“
Er habe in der Corona-Zeit noch mehrere Zehntausend Euro in das Hotel investiert und eine Elementarversicherung, berichtet der 53-Jährige. Für sein neues Wohnhaus hat er sie aber nicht abgeschlossen. Erst im November ist er mit seiner Frau eingezogen. „Ein Bungalow ist zwar altersgerecht, der Nachteil ist aber, alles steht unter Wasser.“Drei Autos habe er auch in den Fluten verloren, „meine gesamten Büro-Unterlagen, Fotoalben – alles ist weg“.
Den Wohnwagen habe er retten können, darin hatte er mit seiner Frau ihren Geburtstag feiern wollen, war deshalb in der Hochwassernacht erst nicht vor Ort. Das ohrenbetäubende Getöse, das ihn empfing, kriegt er nicht aus dem Kopf: Wassermassen, die Wohnwagen und Tanks mit sich reißen. „Was für eine Gewalt“, sagt Ewers, der in dem Flüsschen als Kind schwimmen lernte.
Ewers hat, wie die meisten, Soforthilfe beantragt. Nur, was sind die 1000 bis 3500 Euro angesichts der Millionenschäden allein in seiner Familie? „Aber es hat ja Zehntausende getroffen“, sagt er.
Die Geräusche, die Kälte, die Dunkelheit: „Ich hab gedacht, das war es jetzt“, sagt Maria Günzel aus dem besonders getroffenen Altenahr-Altenburg. Auch ihr
Die Kraft, alles wieder aufzubauen, habe ich zunächst nicht gesehen.
Hotelier Wolfgang Ewerts
kommen die Tränen, wenn sie von der Nacht zum 15. Juli erzählt, die sie mit ihrem Mann Wolfgang auf dem Dachboden ihres Hauses verbracht hat – rund 250 Meter von der Ahr entfernt.
„Das Wasser stieg immer weiter, wir haben irgendwann die Dachluke aufgemacht und sind hoch“, berichtet er. Nur ein paar Anziehsachen hätten sie mitgenommen, wichtige Papiere lagen auf dem Dachboden. „Alles andere ist weg und existiert nicht mehr“, sagt Wolfgang Günzel, der wie einige im Hochwassergebiet von seinem Arbeitgeber erst mal freigestellt worden ist. Sie hätten versucht, einiges zu waschen, „aber auch nach zweimal waschen roch das immer noch nach Öl“.
Nur acht Häuser in dem Ortsteil mit seinen rund 500 Einwohnern seien unbeschädigt. Darunter eines von Maria Günzels Schwester, das etwas höher liegt. Ihr Elternhaus dagegen habe schon abgerissen werden müssen. Überall sind noch die Reste der braunen Wasserflut zu erkennen – auf dem Zufahrtsweg türmen sich noch meterhohe Müllberge aus Kindersachen, Wohnwagen, Bäumen, Stofftieren, zermalmtem Hab und Gut.
Wolfgang Günzel hat auch eine Elementarversicherung, rechnet aber damit, dass es bis zu zwei Jahre dauert, bis er mit seiner Frau in das Haus in Altenburg zurückkann. Hotelier Ewerts sagt: „Mein Ziel ist, höchstens in einem Jahr wieder am Start zu sein.“Göken und Schmitz wohnen zur Miete und denken ans Weggehen. „Unser Baby war unser Garten“, sagt Göken. „Ich habe jeden Stein geliebt und wusste genau, wo jede Pflanze herkam.“Übrig ist davon nichts: Die Wassermassen haben alles mitgerissen und nur Schlamm zurückgelassen.