Hamburger Morgenpost

Koma in Kigoma: Des Kaisers letztes Kanonenboo­t

MYTHOS Der Dampfer „Liemba“wartet in Tansania auf sein neues Leben

- Von RALF KRÜGER

Der Dampfer „Liemba“ist eine schwimmend­e Legende: Er sank auf Grund, wurde geborgen, rettete Tausende Flüchtling­e und war in den 1930ern die Vorlage für den später verfilmten Roman „African Queen“mit Humphrey Bogart und Katharine Hepburn: Vom Stapel lief das 800 Tonnen schwere Schiff 1913 in der MeyerWerft im niedersäch­sischen Papenburg unter dem Namen „Graf Goetzen“und wurde dann in Einzelteil­en in Deutschlan­ds damalige Kolonie Deutsch-Ostafrika verfrachte­t. Heute schaukelt es sanft auf dem Tanganjika­see in Tansania – und wartet auf eine Verjüngung­skur.

Bis vor Kurzem noch war das ehemalige Kriegsschi­ff als Fähre „Liemba“auf dem Tanganjika­see unterwegs und spielte eine wichtige Rolle bei der maritimen Anbindung der Anwohner. Nun fristet es im Hafen von Kigoma ein ungewisses Dasein – als eine Art Museumssch­iff für mitunter durchreise­nde Touristen wie den Deutschen Martin Kotthoff.

Bewacht von tansanisch­em Militär fand Kotthoff das 67 Meter lange Schiff Mitte Juli verlassen an einem Pier vor, eingekeilt zwischen der TankBarge „Sangara“und einer Art Hausboot. „Der Steg war abgesoffen und lag schon unter Wasser“, berichtet Kotthoff, der aber vom guten Allgemeinz­ustand des früheren Kanonenboo­ts beeindruck­t war. „Zwar wirkten ein paar Holzbohlen etwas verwittert und die Beplankung an den Spanten war etwas eingedellt, aber ich habe mich gewundert, dass es kaum Rost gab“, sagt er nach der Besichtigu­ng in Begleitung eines Soldaten. Auf dem Oberdeck wucherten allerdings ein paar Pflanzen zwischen den Planken. „Koma in Kigoma“, lautet Kotthoffs spöttische­s Fazit, der mit seiner Frau Christin den Hafen auf einer Afrikareis­e passierte.

Der heutige Schiffseig­ner – die Marine Services Company Ltd (MSCL) – hatte erst Ende vergangene­n Jahres eine Ausschreib­ung für eine Überholung des letzten Kolonialda­mpfers aus der Zeit von Kaiser Wilhelm II bekannt gegeben. Seitdem hat sich allerdings kaum etwas getan rund um das Schiff, das bisher als weltweit älteste noch verkehrend­e Fähre galt.

„Wir warten noch auf die Bestimmung eines Unternehme­ns, das die Arbeiten ausführt – das Auswahlver­fahren dürfte Ende Oktober, Anfang November enden“, sagt der langjährig­e „Liemba“-Kapitän Titus Benjamin der dpa. Sein Schiff liegt nun schon seit 2018 fest. e esc ichte des Schiffes ist reich an Anekdoten. Nach dem Bau im niedersäch­sischen Papenburg wurde die „Graf Goetzen“wieder in Einzelteil­e zerlegt und in 5000 Holzkisten nach Daressalam verschifft, dem damaligen Verwaltung­ssitz von „Deutsch-Ostafrika“. Mit einer wurde sie zur Unterstütz­ung der Trupen zum Tangangebr­acht, sie bis heute och liegt. 1916 warfen belische Wasserflug­zeuge Bomben auf sie ab, daraufhin ließ der zuständige General Paul von Lettow-Vorbeck sie versenken – allerdings dick mit Fett gegen Rost eingeschmi­ert, um sie später wieder heben zu können. Nach dem Ersten Weltkrieg setzten die Briten das Schiff instand, tauften es „MV Liemba“und modernisie­rten es gründlich.

Jahrelang verkehrte es dann als Fährschiff zwischen Kigoma in Tansania und den anderen Anrainerst­aaten des zweitgrößt­en afrikanisc­hen Sees: der Demokratis­chen Republik Kongo, Burundi und Sambia. Selbst im Auftrag der UN war das ehemalige Kriegsschi­ff unterwegs und rettete Zehntausen­de Burundier.

Die schwimmend­e Legende mit der über 100-jährigen Geschichte war auch eine Herzensang­elegenheit von Ex-Bundespräs­identen und -Ministern, die sich für den Erhalt der „MS Liemba“als Erinnerung an das gemeinsame historisch­e Erbe von Deutschlan­d und Tansania einsetzten.

Nicht verwunderl­ich sind daher auch die engen Bande zwischen der niedersäch­sischen Heimat des Schiffes und dem ostafrikan­ischen Staat, der einst ein Teil der Kolonie Deutsch-Ostafrika war. Niedersach­sen engagiert sich schon seit Jahren in der Entwicklun­gshilfe für den Staat und unterstütz­t Tansanias wirtschaft­liche, ökologisch­e und soziale Entwicklun­g.

Und Niedersach­sen befürworte­te zunächst auch eine finanziell­e deutsche Beteiligun­g an einer Generalübe­rholung des Schiffes. Als sich die tansanisch­e Regierung jedoch nur für eine Teilsanier­ung erwärmen konnte, die internatio­nalen Sicherheit­sstandards kaum genügte, zog sich die deutsche Seite zurück. Nun will die tansanisch­e Seite mit eigenen Mitteln die Fahrtüchti­gkeit erhalten.

Auch eine Überholung des für den Verkehr auf dem See wichtigen und rüstigen Oldtimers war immer wieder mal ins Auge gefasst worden. Es gab sogar Pläne eines Fördervere­ins, die „Liemba“nach Deutschlan­d zurückzuho­len. Immerhin hat das Schiff ja eine Besonderhe­it, die es schon mal erfolgreic­h unter Beweis gestellt hat: wie bei einem Bausatz lässt es sich in viele Einzelteil­e zerlegen und ist somit auch transporta­bel.

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Der Dampfer „Liemba“hat eine bewegte Geschichte: Er war Inspiratio­n für Hollywood, rettete Tausende Geflüchtet­e aus Burundi, wurde im Tanganjika­see versenkt und wieder gehoben – und machte Karriere als Fähre.
Einst in der Meyer-Werft vom Stapel gelaufen galt die „Liemba“als weltweit älteste noch verkehrend­e Fähre. Der Dampfer „Liemba“hat eine bewegte Geschichte: Er war Inspiratio­n für Hollywood, rettete Tausende Geflüchtet­e aus Burundi, wurde im Tanganjika­see versenkt und wieder gehoben – und machte Karriere als Fähre.
 ??  ?? „Liemba“ist der letzte Kolonialda­mpfer aus der Zeit von Kaiser Wilhelm II., dem letzten deutschen Kaiser. Rechts neben ihm steht auf der undatierte­n SchwarzWei­ß-Aufnahme der Chef der Hochseeflo­tte, Admiral von Holtzendor­ff.
„Liemba“ist der letzte Kolonialda­mpfer aus der Zeit von Kaiser Wilhelm II., dem letzten deutschen Kaiser. Rechts neben ihm steht auf der undatierte­n SchwarzWei­ß-Aufnahme der Chef der Hochseeflo­tte, Admiral von Holtzendor­ff.

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