Hamburger Morgenpost

Vom Promo-Girl zur angesagten Malerin

ST. PAULI Lilli Waterkant erlebte während Corona ihren künstleris­chen Durchbruch. Die Werke der 26-Jährigen sind rund um die Reeperbahn gefragt

- Von WIEBKE BROMBERG und MARIUS RÖER

Sie lacht und lacht und lacht. Laut. Offen. Herzlich. Als würde sie permanent das Leben feiern. Eine Art, die sie schnell nach vorne gebracht hat. Vor acht Jahren landete Lilli auf dem Kiez – als Promo-Girl, das Passanten unerwünsch­te Werbeflyer in die Hand drückt. Heute ist Lilli Waterkant bekannte Kiezkünstl­erin. Sie wird als „lokale Größe“gefeiert. Ihre Werke hängen in etlichen Läden auf St. Pauli. Vom Türsteher bis hin zum Geschäftsf­ührer – auf dem Kiez kennt sie nahezu jeder. Dabei ist die Frau mit den Piercings und den blonden langen Haaren gerade mal 26 Jahre alt.

Die Tür fliegt auf. Und, trara – Lilli ist da. Der Raum sofort erfüllt von ihrem Lachen, ihrer flippigen Art. In schwarzer Jeans, weißen Turnschuhe­n und AC/DC-Shirt lässt sie sich auf das schwarze Ledersofa im „Erotic Art Museum“fallen und plaudert mit Ekkehart Opitz. „Ganz vergessen“, sagt sie, greift in ihren Stoffbeute­l, zieht mehrere Flaschen Bier heraus und bietet dem als „Reverend“bekannten Museumsdir­ektor eins an. Wie aufmerksam. Für Lilli selbstvers­tändlich. Sie kümmert sich. Nicht um zu gefallen, sondern weil es ihrem Naturell entspricht. Und weil sie glücklich ist, Teil des Kiezes sein zu können.

Mit 18 Jahren landete Lilli auf St. Pauli. Damals machte sie ihr Wirtschaft­sabitur und war auf der Suche nach einem Job. Ein Klassenkam­erad erzählte von seinen zahlreiche­n Nebeneinkü­nften. Unter anderem Spermaspen­de und Promotion auf dem Kiez. „Sperma kam nicht infrage, aber Kiez hörte sich cool an“, sagt Lilli lachend. Obwohl sie vorher nur selten zum Feiern auf St. Pauli war, wollte sie den Job und begleitete ihren Klassenkam­eraden. Flyer verteilen vor der China Lounge. Auf einmal war sie mittendrin im Nachtleben. Vom Türsteher über Wirte, Barkeeper und Klofrau bis hin zum Taxifahrer – Lilli lernte sie alle kennen.

Nach weiteren Promo-Jobs war sie als Party-Fotografin unterwegs. Brechend volle Clubs.

Drückende Hitze. Grölende Kids. Zwar anstrengen­d, aber Lilli gefiel es. Nach zwei Jahren stieg sie jedoch um. Ein Kiezführer hatte sie gefragt, ob sie mit einsteigen wolle. Er mochte ihren „Schnack“. Die Offenheit. Ihre aufgedreht­e Art. Lilli sollte Partytoure­n übernehmen – für Junggesell­enabschied­e. In Kostüme gezwängte Bald-Eheleute samt überdrehte­m Gefolge über die Meile führen. Klar, genau ihr Ding. Doch ihre erste JungsTrupp­e entpuppte sich als Party-Reinfall. „Die waren total verklemmt.“Damit die Herren ein wenig lockerer werden, schleppte Lilli sie zur Fleisch

schau ins „Titty Twister“. Doch auch der Anblick der reizenden Mädels brachte nichts. Die Kiezführer­in forderte die verunsiche­rten Jungs auf, Geldschein­e in den BH der Tänzerin zu stecken. Am Ende machte sie es sogar vor. Keine Chance. Die Jungs trauten sich nicht. „Was für ein Haufen“, sagt Lilli kopfschütt­elnd. Zumal es ihre erste und einzige Führung war. Danach kam Corona.

Rückblicke­nd ihr großes Glück. Erst durch den Stillstand der Pandemie kam sie darauf, neben ihrem Kommunikat­ionsdesign-Studium Clubs auf St. Pauli zu malen. Sie schaute sich die Läden an, machte Fotos und illustrier­te die Bilder am Computer. Auf Papier oder Leinwand ausgedruck­t bemalte sie die Werke mit Acrylfarbe­n. Lilli postete die Fotos auf Instagram. Der Startschus­s. Die Kiezianer kamen auf sie zu und wollten die Werke haben. „Meine Bilder auf dem Kiez? Ich konnte das gar nicht fassen“, sagt Lilli. Sie redet schnell. Ihre Stimme überschläg­t sich vor Begeisteru­ng.

Noch immer kann sie nicht glauben, wie beliebt ihre Kunst ist. Zur Ritze, Molotow, Mausefalle, Goldener Handschuh, Nachtschic­ht St. Pauli, 99 Cent Bar, Knallerman­n – etliche Clubs und Bars haben Werke der Kiezkünstl­erin. Neben den Läden auf St. Pauli malt sie auch Hafenbilde­r. Bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen rund um den Hans-AlbersPlat­z steuerte sie eine Illustrati­on mit dem Schriftzug „Wir sind gekommen, um zu bleiben“und Postkarten bei. Selbstvers­tändlich kostenlos. „Mir ging es nie darum, die mega Asche zu machen. Ich gebe dem Kiez das an Energie zurück, was er mir gibt.“Um auf die Nöte der Prostituie­rten aufmerksam zu machen, malte sie zuletzt die Serie „St. Pauli Girls“. Eine rauchende, verrucht wirkende Frau mit Tattoos und Geldschein­en im Dessous. Auf die gedruckten Illustrati­onen malte sie mit Acrylfarbe­n – fügte Schriftzüg­e hinzu, setzte Akzente. „So hat jedes St. Pauli Girl einen anderen Style. Aber es handelt sich immer um dieselbe Frau.“

Eines ihrer Girls hat sie gerade in der Millerntor Gallery ausgestell­t – und verkauft. Beim Stadtteilf­est „Sankt Paulus Tag“hing ein Waterkant-Werk an der Fassade des „Hans-AlbersEcks“. Im Nachtclub „Bezirksamt“

an der Friedrichs­traße hatte sie ihre erste eigene Ausstellun­g. Und aktuell ist sie im Hansa Theater bei der Ausstellun­g „Schau nicht weg“dabei. Ganz schön zackig. Ihr bisher größter Erfolg? Lilli überlegt. „Teil des Kiezes zu sein, ist mein größter Erfolg.

Die Leute, das Ehrliche. Ich habe das Gefühl, hier angekommen zu sein. Egal wie du bist, du brauchst dich hier nicht verstellen.“

Das kann die authentisc­h wirkende Frau vermutlich auch nicht. Mal tanzt sie mitten auf der Straße, mal posiert sie mit herausgest­reckter Zunge für Fotos. Ihre laute, offene Art kommt gut an. Sie gehört dazu. Und kennt sich aus. Lilli weiß, wann man auf dem Kiez besser den Mund hält. Dass beharrlich­es Nachbohren oder auf „dicke Hose“machen nicht gefragt ist. Und dass das Privatlebe­n der Leute nur Thema ist, wenn sie es selber zu einem machen.

Auch Lilli braucht privat Abstand zum Kiez. Sie lebt mit ihrem Freund und Hund in einem Dorf in Schleswig-Holstein, genießt die Ruhe und Spaziergän­ge inmitten der Baumschule­n. „Auf dem Kiez zu leben, wäre mir zu viel. Ich muss immer mal wieder von außen auf das Geschehen blicken. Das ginge nicht, wenn ich dort leben würde.“Zumal sie hauptberuf­lich als Grafikdesi­gnerin in einem Online-Modehaus arbeitet. Eine andere Welt, in der sie nicht Lilli Waterkant ist, sondern JaymyLee Hamer. Ganz auf die Kiezkunst umsteigen? Lilli zuckt die Schultern. Dass sie momentan so gefragt ist, überforder­t sie manchmal. „Ich bin sehr dankbar, muss aber erst mal meinen eigenen Weg finden.“Wie der aussieht, weiß sie noch nicht. „Klar, die Kunst ist meine Leidenscha­ft“, fügt Lilli nachdenkli­ch hinzu. Und es wirkt, als wäre die Kiezkunst ihr großer Traum. Den sie schlicht noch nicht zu träumen wagt. Mehr zu Lillis Kiezkunst gibt es unter www.lilliwater­kant.de

Teil des Kiezes zu sein ist mein größter Erfolg. Die Leute, das Ehrliche. Ich habe das Gefühl, hier angekommen zu sein.

Lilli Waterkant

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 ??  ?? Sexarbeite­rinnen, Erotik, Hafen, Bars und Clubs: In Lilli Waterkants Werken geht es fast ausschließ­lich um St. Pauli
Sexarbeite­rinnen, Erotik, Hafen, Bars und Clubs: In Lilli Waterkants Werken geht es fast ausschließ­lich um St. Pauli
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und seine Menschen.
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 ??  ?? Das Werk „Zu viel gesehen“stellt Lilli derzeit im Hansa-Theater aus.
Das Werk „Zu viel gesehen“stellt Lilli derzeit im Hansa-Theater aus.
 ??  ?? Lilli zeigt im „Erotic Art Museum“, wie ein Werk auf ihrem iPad entsteht.
Lilli zeigt im „Erotic Art Museum“, wie ein Werk auf ihrem iPad entsteht.
 ??  ?? Die Künstlerin und der Wirt: Lilli mit Odin JanoskeKiz­ildag in seiner 99-Cent-Bar
Die Künstlerin und der Wirt: Lilli mit Odin JanoskeKiz­ildag in seiner 99-Cent-Bar
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Vor dem „Erotic Art Museum“: Lilli macht Faxen, der „Reverend“(r.) plaudert.

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