Auf dem Rückweg sind die Gäste anders beeindruckt. Von der Hallig – aber auch vom Leben dort. Michael Klisch
sonderheiten im UNESCOWeltnaturerbe Wattenmeer durchaus bekannt sind. Gerne lässt er seine Gäste staunen. Eines aber ist auch für ihn immer wieder sonderbar: „Die beiden Pfahlbauten erscheinen auf dem gesamten Weg viel größer, als sie in Wirklichkeit sind. Diese Täuschung ist wirklich seltsam, aber so ist es!“
Etwa 500 Meter vor der kleinen Hallig ändert sich etwas: „Es riecht nicht mehr nur klar und frisch nach der See und Watt, sondern auch nach der Salzwiese. Ich würde das beschreiben wie ein Gemisch aus Schlick und Pflanzen, etwas modrig und herb zugleich – und irgendwie auch frisch. Es sind andere Vogelstimmen zu hören als auf dem Weg dorthin. Vor allem die sehr krächzend prägnanten und lauten Rufe der Seeschwalben – gerade in der Zeit von Mitte Juli bis Mitte August. Später im Jahr sind es dann oft sehr ruhige, eher feine Laute von Singvögeln, die auch über Norderoog ziehen“, berichtet Michael Klisch.
Das, was als Erstes festes Land erahnen lässt, ist das Lahnungsfeld. Karrees voller Schlick zwischen Verbauen aus Holz und Strauchwerk. Im Sommer blühen Strandaster und Halligflieder lila. „Dann treten die Gäste auf den Plankenweg und haben wieder festen Boden unter den Füßen.“Die Hallig im Alleingang erkunden darf man nicht. Man kann aber auf den Umlauf eines Pfahlbaus gehen und von oben auf die Hallig schauen. Hier gibt es auch einen InfoRaum.
Eric Walter leitet die Naturschutzarbeit des Vereins Jordsand in Nordfriesland, und er war auch schon mal Vogelwart, allerdings auf einem anderen, ähnlich einsamen Eiland. „Auf Norderoog anzukommen, ist jedes Mal etwas ganz Besonderes. Sie ist grün im endlosen Blaugrau des Watt.“Die Luft scheint zur Brut- und Zugzeit zu schwirren von den Flügelschlägen und vielfältigen Vogelstimmen. Norderoog ist seit 1909 im Besitz des Vereins Jordsand – zum Schutz der Seevögel.
„Wir besetzen die Station in der Regel von März bis Ende Oktober. Zu den Aufgaben gehört das Monitoring. Wie viele Vögel sind wann wo, wie verändern sich die Individuenzahlen. Zählen und Dokumentieren“, erklärt Eric Walter. Hallig Norderoog ist das Zugziel und Aufzuchtsort zigtausender Vögel. Walter berichtet von Küstenseeschwalben und Flussseeschwalben und sagt: „Die Brandseeschwalbe hat auf Norderoog ihren einzigen Brutplatz in ganz Nordfriesland.“Sie fliegen tatsächlich um die halbe Welt, bis sie wieder auf genau dieses winzige Eiland irgendwo im Nirgendwo des Weltnaturerbes Wattenmeer zurückkehren. Doch nicht nur sie leben hier: Austernfischer, Rotschenkel, Lach-, Silber- und Heringsmöwen sind weitere Brutvögel auf der Hallig.
Der Vogelwart oder die Vogelwartin lebt allein, aber nicht einsam auf Norderoog. „Erstens ist es ein Exil auf absehbare Zeit“, berichtet Eric Walter, „das Alleinsein ist überschaubar. Es gibt ohnehin genug Arbeit zu erledigen – ein Erholungsaufenthalt sind die Wochen und Monate hier sicher nicht.“Seine Kandidat:innen wählt der Verein sehr genau aus, meist sind es Leute, die bereits vor dem Studium einen freiwilligen ökologischen Dienst an ähnlicher Stelle absolviert haben und nun ihre Bacheloroder Masterarbeit über ein Öko-Thema schreiben. Auf Norderoog lernt man nicht nur fürs Studium, sondern auch fürs Leben. „Man findet schon eine besondere Art der Ausgeglichenheit, lernt Eigenverantwortung“, erinnert sich Eric Walter.
Vom Umlauf auf der Plattform bietet sich den Gästen ein spektakulärer Blick über das Wattenmeer: Im Süden liegt Pellworm. Im Westen der gewaltige Norderoogsand mit seinen Dünen, im Norden ist Amrum zu erkennen, im Nordosten Hallig Hooge mit ihren Warften. Bei Windstille hört man die fernen Kirchenglocken von den Inseln und Halligen, das tiefe Stampfen von Schiffsmotoren irgendwo weit draußen. Maximal eine Stunde Zeit hat man, um diesen Ausblick zu genießen. Bevor die Flut aufläuft, geht es zurück. „Auf dem Rückweg sind die Gäste anders beeindruckt. Natürlich von der Hallig selbst und der Vogelwelt. Aber mehr noch von der Einsamkeit“, sagt Klisch. Da ist sie wieder, die Magie von Norderoog, ihr Mythos. Denn wer auf Norderoog war, ist beeindruckt.