Zwischen Todesangst und Mitgefühl
Tote am Flughafen. Eltern reichen Soldaten ihre Babys. Neue Vorwürfe gegen Auswärtiges Amt
Herzzerreißende Szenen am Flughafen in Kabul: Menschen drücken Soldaten Babys und Kinder in die Hand – in der Hoffnung, wenigstens diese zu retten. Schüsse fallen, Panik bricht aus. „Leute werden gedrängt, gequetscht, zum Teil runtergetrampelt“, sagt Bundeswehrkommandeur Jens Arlt. Mindestens sieben Menschen sollen am Samstag vor den Toren des Airports gestorben sein. Derweil werden neue Vorwürfe gegen das Auswärtige Amt erhoben.
Noch wenige Tage – dann soll am 31. August die USMission am Kabuler Flughafen enden. Und ein Abzug der USA bedeutet auch ein Ende aller westlichen Rettungsaktionen. „Wenn die Amerikaner abziehen, haben wir nicht die militärische Kapazität, den Flughafen zu besetzen und zu sichern, und die Taliban werden die Kontrolle übernehmen“, warnt der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell.
Genau diese Aussicht versetzt viele Afghanen in Panik. Da die Tore des Flughafens immer wieder versperrt sind, gleichzeitig Zigtausende auf Rettung hoffen, kommt es zu grausamen Szenen. In dem Gedränge werden Menschen zu Tode gequetscht und getrampelt. Familien werden getrennt, viele Kinder gehen laut örtlichen Medien verloren.
Eltern verteilen Fotos ihrer vermissten Mädchen und Jungen, eine Reportage zeigt eine Frau, die sich seit Tagen um einen Sechsjährigen kümmert, den sie im Stacheldraht festhängend gefunden hatte. Fotos zeigen, wie Babys über Flughafenmauer und Stacheldraht Soldaten gereicht werden, um sie vor den Taliban in Sicherheit zu bringen.
Eine CBS-Journalistin, die ein Foto von einem norwegischen Soldaten mit einem in eine Decke gewickelten
Baby machte, schrieb von „einer großen Zahl an Kindern, von Babys bis hin zu Teenagern, die alleine reisten“. Die US-Army veröffentlichte diverse Bilder mit Soldaten, die Babys in den Armen halten. Offiziell bestätigt ist auch, dass in einer Maschine der norwegischen Luftwaffe mehrere Kinder ausgeflogen wurden, die jetzt betreut werden.
Mindestens sieben Menschen sollen am Samstag im Gedränge vor dem Flughafen gestorben sein. Die USA und Deutschland warnten Staatsbürger davor, zum Flughafen zu kommen. Nur wenige Menschen konnten deshalb ausgeflogen werden.
Am Sonntag entspannte sich die Situation etwas. Tore sind jetzt dauerhaft geöffnet, es herrscht mehr Ordnung. Die Taliban lassen laut westlichen Militärs Ausländer und Ortskräfte passieren. Die Bundeswehr hat seit Samstag zudem zwei wendige Hubschrauber vor Ort, mit denen die Spezialkräfte des KSK zur Not Personen aus Gebäuden im eng bebauten Stadtgebiet retten können.
Unterdessen gibt es neue Vorwürfe gegen die Führung des Auswärtigen Amtes. Nach der Machtübernahme der Taliban sollen die Verantwortlichen der Botschaft in Kabul ihre Evakuierung auf eigene Faust eingeleitet haben. Wie die „Welt am Sonntag“unter Berufung auf Insider und interne EMails berichtet, wurden in Berlin Warnungen nicht ernst genommen. Die Botschaft wurde dann auf eigene Faust geräumt.
Eine gute Nachricht immerhin gab es: Eine Afghanin hat auf der Landebahn der US-Basis Ramstein ein Baby zur Welt gebracht. Zuvor gab es Komplikationen wegen niedrigen Blutdrucks – daher senkte der Pilot die Flughöhe, erhöhte so den Luftdruck in der Maschine und rettete der Frau wohl das Leben. Mutter und Kind sind wohlauf.
2500 Menschen hat die Bundeswehr bis gestern Mittag aus Kabul ausgeflogen