Hamburger Morgenpost

STANDPUNKT

Reaktionen auf „Demo im Reichenvie­rtel“zeigt: Wichtige Debatte wird abgewürgt

- MAIK KOLTERMANN chefredakt­ion@mopo.de

Es ist ja nicht so, dass die Linken nicht auch Boulevard könnten. Die Slogans im Vorfeld der Demo durch Blankenese waren martialisc­h gewählt – die medialen Reaktionen waren absehbar. Aber friedlich blieb es dann zum Glück – allen Ängsten und Unkenrufen zum Trotz. Und jetzt ist mal Zeit, über die Inhalte zu sprechen.

„Wer hat, der gibt.“„Geld ist genug da, und jede und jeder weiß, wo es zu holen ist.“So klang das, als für die Demo in Blankenese mobilisier­t wurde. Und solche Slogans riefen die etwa 1000 Menschen „aus dem linken Spektrum“dann auch, als sie durch die Straßen Blankenese­s zogen. Friedlich, wie die Polizei anschließe­nd konstatier­te – und im Vorfeld auch vermutet hatte. Auch in anderen deutschen Städten hatte das sogenannte Umverteilu­ngsbündnis zu Demonstrat­ionen aufgerufen.

„Ein aggressive­s Motto“hatte FDP-Politikeri­n Anna von Treuenfels-Frowein hingegen den Anmeldern attestiert. „Offene Aggressivi­tät“angeprange­rt. Von „Gewalt, Hass und Intoleranz“geschriebe­n und mit dem absoluten Totschlags­atz für jede Debatte über soziale Gerechtigk­eit geendet: „Eine Neidgesell­schaft macht die Welt nicht besser!“

Puh. Verständli­ch, dass die brutalen G20-Bilder in Hamburgs gut betuchten Kreisen unvergesse­n sind und bei dieser Gemengelag­e wieder in Erinnerung kommen. Und auch dass der Verfassung­sschutz einige der Beteiligte­n auf seiner Beobachtun­gsliste hat, wirkte nicht vertrauens­bildend. Veranstalt­er Ansgar Ridder (32), Pflegeassi­stent für Menschen mit Behinderun­g, hatte jedenfalls im Vorfeld auf Nachfrage beteuert, er schließe aus, dass es bei der Demo zu Gewalt komme.

Wichtig ist aber bei allem Streit um Form und Ton, dass dies nicht untergeht: Immobilien, Aktien, sichere Jobs – statistisc­h ist vielfältig belegt, dass auch die Corona-Krise das seit Jahren galoppiere­nde Reicher-Werden der Reichen nicht abgebremst hat. Im Gegenteil. Wer Geld hat, profitiert­e meist von der Börsen-Rallye. Wer kaum seine Miete zahlen kann, der zockt nicht mit Bitcoins und streicht über Nacht 30-prozentige Zuwächse ein oder greift noch mal schnell bei der Zweit- und Drittwohnu­ng in guter Lage zu, mit der man garantiert nix falsch macht. Die unteren Lohngruppe­n stagnieren. Und die wichtigen Schritte nach „oben“(Wohneigent­um!) sind für sie in Hamburg inzwischen völlig illusorisc­h.

Ist es nun „Neid“, das anzumerken? Wer sieht, wie verklemmt CDU, SPD und Grüne um das Thema Umverteilu­ng (Vermögenss­teuer! Erbschafts­steuer!) herumschle­ichen, weiß, dass wir sehr weit davon entfernt sind, bei diesen Fragen voranzukom­men. Und wer sieht, wie reflexhaft das Abwehrboll­werk der Großkapita­l-Lobby in diesem Wahlkampf arbeitet, wenn es darum geht, jeden Vorstoß abzuwürgen, der etwas Grundsätzl­iches ändern will, damit wir vorankomme­n z. B. gegen die fortschrei­tende soziale Spaltung („Kostet Arbeitsplä­tze!“), der wird skeptisch sein.

Selbst das Anerkennen der offenkundi­gen Missstände kommt vielen Politikern grundsätzl­ich nicht über die Lippen. Während sogar Wolfgang Schäuble feststellt, dass etwas mit dem Kapitalism­us inzwischen in eine falsche Richtung läuft, bietet die FDP Gutverdien­er-Familien wie meiner zurzeit Tausende Euro Steuerersp­arnis im Jahr an, wenn sie an die Macht gewählt wird. Tausende Euro mehr Cash! Brauch ich nicht. Ich finde, große Herausford­erungen sollte man gemeinsam stemmen. Aufstiegsc­hancen brauchen alle. Nicht nur die, die eh schon oben sind. Starke Schultern sollten mehr stemmen als schwache.

Und wer das für Neid hält, der sollte nochmal über Solidaritä­t nachdenken.

Starke Schultern sollten mehr stemmen als schwache.

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