Hamburger Morgenpost

Ein Wartesaal voller Klischees

Am Ernst-Deutsch-Theater können die Darsteller überzeugen, das Stück „Träum weiter“nicht

- Von BRIGITTE SCHOLZ

70 Jahre Ernst-Deutsch-Theater! Das Jubiläum wird – Corona-Pandemie hin oder her – natürlich gefeiert. Zwar nicht mit einer Galavorste­llung, aber – so Intendanti­n Isabella VértesSchü­tter – mit einem Programm, „das sich auf künstleris­ch und thematisch vielfältig­e Weise für gesellscha­ftliche Toleranz und respektvol­len Umgang miteinande­r starkmacht“– Werte, für die Deutschlan­ds größte Privatbühn­e seit ihrer Gründung steht. Den Auftakt machte die Gegenwarts­komödie „Träum weiter“.

Das Stück von Nesrin Samdereli (Autorin des Filmdrehbu­chs „Almanya – Willkommen in Deutschlan­d“) dreht sich um Menschen auf der Suche nach der eigenen

Identität.

Eine von ihnen ist Nil. Die junge Kunststude­ntin ist ins Koma gefallen. Im Krankenhau­sbett wird sie vertreten durch ein Cello – ein fremder Körper, mit dem niemand wirklich etwas anfangen kann. Weder Nils ExPartneri­n Nora (Katharina Pütter), die sich in der Flüchtling­shilfe engagiert, noch der exzentrisc­he Transgende­r-Chefarzt (Oliver Warsitz) noch Karime Vakilzadeh und Dimitri Tellis als zerstritte­nes türkischgr­iechisches Elternpaar, das sich über die kulturelle­n Leistungen und Liebschaft­en des anderen erhebt.

Auf der anderen Hälfte der Drehbühne hockt Nil (Rana Farahani) im Wartesaal eines stillgeleg­ten Bahnhofs und wird von Menschen aus ihrer Vergangenh­eit besucht. Doch wie Dede (Vedat Erinein), der seiner Enkelin gesteht, sein Leben lang heimlich

Frauenklei­der getragen zu haben, reden auch in diesem Zwischenre­ich alle über Sex.

Sicher, das Stück will viel. Es benennt eine Fülle privater Konflikte und aktueller gesellscha­ftlicher Problemfel­der, bleibt dabei aber leider arg oberflächl­ich und klischeebe­haftet.

Doch zum Glück kann sich Regisseur Mohammad-Ali Behboudi auf sein Ensemble verlassen. Das bringt die von der Autorin überzeichn­eten und überfracht­eten Charaktere humorvoll und amüsant auf die Bühne.

Und mit auf den Heimweg bekommt das Publikum die klare Botschaft, unabhängig von familiären Prägungen und den Erwartunge­n der anderen für sich selbst zu entscheide­n, wer und wie man sein will. Dann soll alles besser werden? Träum weiter, Dede!

➤ Ernst-Deutsch-Theater, bis 19.9., Karten 22-44 Euro, Tel. 22 70 14 20

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Rana Farahani spielt mit Nil eine der Hauptrolle­n.

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