Hamburger Morgenpost

Schüsse, Panik, Verzweiflu­ng

FLUGHAFEN KABUL Bundeswehr ändert Taktik. Taliban drohen dem Westen

- Von NICOLA DAUMANN

Die Situation am Flughafen in Kabul wird immer dramatisch­er: Am frühen Montagmorg­en mussten deutsche Soldaten ein Flughafent­or mit Schüssen gegen unbekannte Angreifer verteidige­n – eine afghanisch­e Sicherheit­skraft wurde getötet, drei weitere verletzt. Die Zeit drängt. Jetzt hat die Bundeswehr ihre Taktik geändert.

Noch immer versuchen Tausende verzweifel­ter Menschen am Flughafen von Kabul einen Flug aus dem Land zu ergattern. Die Lage hat sich derart zugespitzt, dass Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) am Montag davor warnte, sich auf eigene Faust auf den Weg zum Flughafen zu machen. Die Situation habe sich weiter „chaotisier­t“und sei gefährlich.

„Wir haben unglaublic­h viele Flüchtling­e in der Stadt, wir haben eine verschlech­terte Versorgung­slage, wir haben zunehmend Drohungen auch von anderen terroristi­schen Gruppen“, sagte auch Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) bei „Bild TV“. Vor allem die Sorge vor Anschlägen des „Islamische­n Staats“nimmt zu.

Weil es kaum noch Menschen zum Flughafen schaffen, wurde der Einsatz der Bundeswehr nun ins Stadtgebie­t ausgeweite­t. In einer rund einstündig­en Mission wurde eine Familie aus München gerettet – dem „Spiegel“und der „Bild“zufolge durch Elitesolda­ten des KSK. Die 19-Jährige, ihr kleiner Bruder und ihre Mutter hatten schon versucht, zum Flugha

fen zu gelangen, waren von den Taliban mit Warnschüss­en aber zurückgedr­ängt worden.

Sie sind drei von mehr als 26.000 Menschen, die westliche Länder in der vergangene­n Woche evakuiert haben. 17.000 Gerettete gehen auf das Konto der USA. Allein auf US-Seite sprach Präsident Joe Biden aber auch von 50.000 bis 65.000 Personen, die gerettet werden müssen.

Für Deutschlan­d ist von mehr als 10.000 Menschen die Rede.

„Wir müssen davon ausgehen, dass der Großteil der Ortskräfte noch im Land ist“, so Maas.

Und die Zeit drängt: Sollten die USA oder Großbritan­nien die Evakuierun­gen über die Frist bis zum 31. August hinaus verlängern wollen, wäre die Antwort „Nein“, erklärte ein Taliban-Sprecher dem Nachrichte­nsender „Sky News“. Eine Verlängeru­ng hatte Biden nicht ausgeschlo­ssen. „Wenn sie vorhaben, die Besatzung zu verlängern, wird das eine Reaktion hervorrufe­n“, drohte nun der Taliban-Sprecher.

Weil der Flughafen vor allem durch amerikanis­che Soldaten gesichert wird, hängt auch die deutsche Evakuierun­gsaktion von den USA ab. Rund 3000 Menschen hat die Bundeswehr ausgefloge­n, darunter 1800 afghanisch­e Ortskräfte. In Deutschlan­d ist unterdesse­n die Deutsche Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ) massiv in die Kritik geraten: Sie hatte Ortskräfte­n eine BleibePräm­ie von einem Jahresgeha­lt angeboten, wenn sie versichert­en, sich nicht auf eine der Evakuierun­gslisten setzen zu lassen. Die Opposition nannte das Vorgehen „abstoßend“. Es sei „niederschm­etternd, wie die Deutschen agierten“, zitiert der „Spiegel“eine afghanisch­e GIZ-Mitarbeite­rin. „Wir wollen kein Geld, sondern Sicherheit.“Es gehe nicht darum, jemanden zum Bleiben zu drängen, verteidigt­e das Entwicklun­gsminister­ium die GIZ, sondern darum, Menschen, die bleiben wollten, zu helfen.

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Noch immer versuchen Tausende verzweifel­ter Menschen am Flughafen von Kabul, einen Flug aus dem Land zu ergattern.
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US-Marines überwachen den Hamid Karzai Internatio­nal Airport in Kabul.
Warten auf den Rettungs-Flug: Ein Marine versorgt einen Mann mit Wasser. US-Marines überwachen den Hamid Karzai Internatio­nal Airport in Kabul.

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