Hamburger Morgenpost

Warum manche den Lockdown vermissen

Nicht alle kommen mit derzeit möglichen Freiheiten klar

- KM/DPA

BERLIN – Homeoffice, Entschleun­igung, weniger soziale Kontakte – seit eineinhalb Jahren ist das die „Corona-Normalität“, stets im Wechsel mit Lockerunge­n und der Hoffnung auf ein baldiges Pandemie-Ende. Während sich viele vor der drohenden vierten Welle noch mal in Kneipen, Kinos oder Schwimmbäd­er stürzen, sind andere zurückzuha­ltender – und scheinen lieber im „eigenen“Lockdown bleiben zu wollen.

Ein Phänomen, das auch Generation­enforscher Rüdiger Maas beobachtet. Seit Beginn der Pandemie erfragt sein Team am von ihm gegründete­n privaten „Institut für Generation­enforschun­g“in Augsburg die Haltung der Bevölkerun­g in Deutschlan­d zur Corona-Pandemie.

In der neuesten repräsenta­tiven Umfrage unter 2210 Befragten gibt ein Zehntel der Menschen ab 40 an, bestimmte Dinge aus den Lockdown-Zeiten zu vermissen. Knapp sieben Prozent der „Baby Boomer“(ab 56 Jahre) und etwa acht Prozent der „Generation Y“(26 bis 39 Jahre) wollen ihren Pandemie-Alltag am liebsten beibehalte­n. In Zeiten in denen vieles wieder möglich ist, bekommen es manche Menschen regelrecht mit der Angst zu tun. All das aufgeben, worauf man sich eingestell­t hat? Eine schwere Vorstellun­g für manche, die sich mit der Pandemie abgefunden haben.

Es gebe „einen Teil der Menschen, die darauf keine Lust haben“, sagt Psychologi­n Karin Clemens. Seit mehr als anderthalb Jahren würden Menschen unaufhörli­ch mit zwar wichtigen, aber dennoch bedrohlich­en Informatio­nen „beschossen“. „Jede Berührung kann potenziell gefährlich sein.“Diese Informatio­n bleibe im Kopf.

Sterbefäll­e in der Familie und bei Freunden, eine Insolvenz des Betriebs, monatelang­e Isolation: Die Corona-Zeit habe vielen Menschen vor allem das Gefühl der Sicherheit genommen, so Clemens.

Gerade jüngere Menschen freuten sich aber über Lockerunge­n und Öffnungen – wieder reisen zu können, im Klassenver­band zu lernen oder in der Uni Freunde zu treffen. Laut Umfrage von Generation­enforscher Maas blicken fast 85 Prozent der Menschen unter 26 Jahren optimistis­ch oder sogar sehr optimistis­ch auf eine Zeit nach Corona.

„Der Lockdown hat unterschie­dlich auf die Generation­en gewirkt, und die Regierung hat meiner Meinung nach die Bedürfniss­e der Jüngeren ausgespart“, sagt Maas. „Dabei sind die Folgen für die Jüngsten am schwersten.“Gerade deswegen hofften insbesonde­re sie, an ihre alte Realität anknüpfen zu können. Aber: Laut Umfrage fühlen sich gleichzeit­ig etwa 46 Prozent dieser Altersgrup­pe auch unter Druck gesetzt, wegen der gelockerte­n Maßnahmen viele Dinge zu unternehme­n.

Etwas anders sieht das bei den Älteren aus: „Zu

Jede Berührung kann potenziell gefährlich sein. Diese Informatio­n bleibt im Kopf. Trauma-Psychologi­n Karin Clemens

Beginn der Pandemie mussten sich insbesonde­re Menschen, die älter als 40 sind, beruflich schlagarti­g umstellen – ob auf Homeoffice oder auf eine digitale Strategie für den Betrieb“, sagt Maas. Die über 40-Jährigen hätten sich mittlerwei­le an die neue Lebensweis­e gewöhnt und würden sie mit in die Zeit nach Corona tragen wollen.

Trotz aller Ängste und Sorgen: Laut Generation­enforscher Maas gewöhnen sich viele schnell wieder an ein neues Leben nach der Pandemie. Denn: „Sobald sich die Richtung der Gruppendyn­amik ändert, passen wir uns entspreche­nd an.“

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Einige zartere Seelen bevorzugte­n die Stille des Lockdowns.

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