Hamburger Morgenpost

„Wir fordern kontrollie­rte Abgabe von Cannabis“

Till Steffen von den Grünen erklärt, warum er den Vorstoß der CDU für falsch hält

- Das Interview führte PAULINE REIBE

Am Montag hat die Drogenbeau­ftragte der Bundesregi­erung Daniela Ludwig (CSU) eine bundesweit­e Straffreih­eit für den Besitz von bis zu sechs Gramm Cannabis vorgeschla­gen. Das klingt für viele nach einem fortschrit­tlichen Vorstoß, könnte die Lage von Cannabis-Konsumente­n aber verschärfe­n. Im MOPO-Interview sagt Till Steffen (Grüne), ehemaliger Justizsena­tor und Sprecher der grünen Bürgerscha­ftsfraktio­n für Verfassung und Verfassung­sschutz, warum.

MOPO: Die Bundesdrog­enbeauftra­gte der CSU will eine Entkrimina­lisierung von Cannabis und die Möglichkei­t des „Drug-Checkings“. Wie bewerten Sie diesen plötzliche­n Vorstoß?

Till Steffen: Zunächst wirkt dieser Vorschlag wie eine Erleichter­ung, aber für die meisten bedeutet er sogar eine Verschärfu­ng. Denn gegenwärti­g ist der Besitz von Cannabis zwar strafbar, aber das Strafverfa­hren bei geringen Mengen wird in der Regel eingestell­t. Nach Ludwigs Vorschlag soll der Besitz von bis zu sechs Gramm eine Ordnungswi­drigkeit sein. Dadurch würde auf die Besitzer künftig eine Geldbuße zukommen anstelle eines eingestell­ten Verfahrens.

Was kritisiere­n Sie am derzeitige­n Zustand?

Die Obergrenze für eine geringe Menge unterschei­det sich von Bundesland zu Bundesland. Ebenso die Frage, ob das Verfahren wirklich eingestell­t wird. Das hängt auch davon ab, ob die Person noch andere Straftaten begangen hat. Es ist einfach ein großes Durcheinan­der. Zudem birgt der Kauf von Cannabis auf dem Schwarzmar­kt große Risiken: Niemand weiß, was da genau drin ist, und die Wirkung könnte viel stärker sein als erwartet. Außerdem hängen oft weitere Straftaten wie Gewaltverb­rechen an dem Verkauf, um die Märkte zu schützen. Davon abgesehen zahlt natürlich niemand Steuern auf diese Milliarden, die da umgesetzt werden.

Was kostet die Gesellscha­ft die Verfolgung

von Kiffern?

Das Problem ist: Wenn Polizisten eine Straftat sehen, dürfen sie nicht weggucken. Sie müssen ein Verfahren einleiten, obwohl sie wissen, dass es eingestell­t wird. Das ist ein unsinniger Aufwand in großem Umfang. Einer wissenscha­ftlichen Untersuchu­ng zufolge werden bundesweit jährlich 100.000 Strafverfa­hren wegen Cannabis-Besitzes durchgefüh­rt – der Großteil wird eingestell­t. Das entspricht zwei Prozent aller Straftaten. Diese Strafverfo­lgungskapa­zitäten könnten wir an anderer Stelle viel sinnvoller einsetzen. Finanziell kosten die Strafverfo­lgungsmaßn­ahmen der Polizei den Staat laut einer Studie des Hanf-Verbandes jährlich mehr als eine Milliarde Euro.

Was muss nach Ansicht der Grünen in der Drogenpoli­tik passieren?

Wir fordern ein Cannabis-Kontrollge­setz: Also die kontrollie­rte Abgabe an zertifizie­rten Verkaufsst­ellen, die überwacht werden und Aufklärung­sarbeit leisten. Damit würden wir den Schwarzmar­kt austrockne­n und weitere bereits genannte Gefahren minimieren. In den Verkaufsst­ellen könnte Cannabis für den Eigenbedar­f erworben werden – nach dem Vorschlag der Grünen bis zu 30 Gramm pro Person.

Die Drogenbeau­ftragte der CSU hat auch die Legalisier­ung des „Drug-Checkings“vorgeschla­gen.

Das fordern die Grünen schon lange. Es ist wichtig, dass Menschen ihre illegal erworbenen Drogen auf Inhaltssto­ffe überprüfen lassen können. Dadurch können Gesundheit­srisiken minimiert werden. Bisher macht sich auch derjenige, der die Drogen überprüft, strafbar.

Wie realistisc­h ist denn eine neue Drogenpoli­tik nach der Bundestags­wahl?

Ich habe den Eindruck, dass auch der Union mittlerwei­le dämmert, dass sich in dem Bereich etwas tun muss, und dass sie merken, dass sie mit ihrer derzeitige­n Position nicht weiterkomm­en. Diese Partei ist sicherlich die härteste Nuss an der Stelle – dennoch ist es an der Zeit, dass wir uns in der Drogenpoli­tik voranbeweg­en.

Der Vorschlag wirkt wie eine Erleichter­ung, aber für die meisten bedeutet er eine Verschärfu­ng.

Till Steffen

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Cannabis sollte nach dem Willen der Grünen in kontrollie­rten Shops legal verkauft werden.
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