„Who the hell is Michael Schumacher?“
FORMEL 1 Vor 30 Jahren feierte er sein Debüt. Manager Willi Weber erinnert sich in seiner Biografie
Michael Schumacher. Spa. Der 25. August 1991. Jeder Formel-1-Fan weiß, was diese Daten bedeuten. Vor 30 Jahren debütierte der Kerpener im Großen Preis von Belgien in der Königsklasse. Es war der Anfang einer Weltkarriere. Möglich gemacht durch Mercedes-Rennleiter Jochen Neerpasch (82) und Manager Willi Weber (79).
Die Geschichte ist legendär: Weil Jordan-Pilot Bertrand Gachot nach einer ReizgasAttacke auf einen Taxifahrer in London im Knast saß, besorgte Weber Schumi dessen Cockpit – mit Mercedes-Geld und der Notlüge, sein Fahrer kenne Spa wie seine Westentasche. Sein Debütrennen endete nach einem fulminanten Start allerdings mit defekter Kupplung nach nur 500 Metern. In seiner am 27. August im Lübbe-Verlag erscheinenden Autobiografie „Benzin im Blut“, schildert Willi Weber bisher unveröffentlichte Begebenheiten. Die MOPO darf daraus vorab zitieren.
Ich erwische Eddie im Urlaub. Dem Plätschern entnehme ich, dass er am Wasser ist. Ich tippe auf Yacht. Hier ist sie. Meine einmalige Chance, ihm Michael als Gachot-Ersatz zu verkaufen. Ein Griff nach den Sternen. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. „Who the hell is Michael Schumacher? Kenn ich den? Muss man den kennen?“, raunzt Eddie, kaum dass ich ihm meinen Gedanken unterbreitet habe. Ich sag mal so: Sollte er begeistert sein, kann er das sehr gut verstecken. Aber ich lasse mich nicht entmutigen. „Du, Eddie, das ist der, der Macau gewonnen hat, du warst doch dabei!“„Oh yes, yes … Now I remember.“Stille in der Leitung. „And? Is he good?“„Ob er gut ist, Eddie? Verschaukelst du mich? Mikel is the best!“, beschwöre ich Eddies Erinnerung, die er gar nicht hat.
Dann kommt die Fangfrage: „Kennt Michael die Strecke?“Das sei alles ein viel zu großes Risiko und Spa viel zu gefährlich, um einen Fahrer hinters Steuer zu lassen, der keine Ahnung habe von Tuten und Blasen. „Aber Mikel kennt die Strecke wie seine Westentasche!“, lüge ich das Blaue vom Formel-Himmel. „Das ist seine, nun, Hausstrecke, musst du wissen, Eddie. Mikel wohnt nur hundert Kilometer weg.“„Oh, that‘s good, that‘s good. Very good …“, schluckt Eddie die Lüge. Er ist eben am Ende eine Spielernatur. Und nicht ausgeschlossen, dass er in diesem Moment eine Chance wittert.
Es ist nicht zu fassen, was passiert. Michael gibt Vollgas, Runde um Runde, Funken sprühen, Bremsscheiben glühen. Er ist in seinem Element. Ein Fisch, den man ins Wasser geworfen hat. Alle Rennbeobachter sind sich einig: Das kann eigentlich nur gehen, wenn einer schon hunderttausend Mal diese Strecke gefahren ist. Mit atemberaubendem Speed zieht Michael an der Konkurrenz vorbei, die gerade Aufwärmrunden dreht oder die Box ansteuert. Links, rechts, zickzack. Als hätte man einen Ballon aufgeblasen und ließe ihn knatternd losflitzen.
Als Michael schließlich wieder die Box ansteuert, halte ich die Luft an und kann es nicht glauben: Er ist eine Dreiviertelsekunde schneller gewesen als Andrea de Cesaris, der Stammfahrer! Unglaublich. Er wird morgen von Platz acht starten! Und wegen einer Strafe für Riccardo Patrese rückt er sogar auf Startplatz 7 vor! So weit vorn stand noch nie ein deutscher Formel-1-Fahrer im Qualifying, und schon gar nicht im Wagen von Eddie Jordan!
Ich muss mich kneifen. Ein Märchen! Spätestens jetzt wacht die Formel-1-Welt auf. Auf einem der Bildschirme taucht das Gesicht von Ayrton Senna auf. Er hat die schnellste Rundenzeit hingelegt, wird morgen von der Pole Position starten und gibt gerade Interviews. Er spricht über Michael! „Der Junge ist mit einem besonderen Talent gesegnet. Der kann uns gefährlich werden!“
Die Nachrichten vermelden, dass sich 15.000 deutsche Formel-1-Fans spontan auf den Weg nach Spa gemacht haben. Alle wollen diesen verrückten Jungen sehen, der im Qualifying den alten Hasen davongefahren ist. Michael und ich sind schon um sieben an der Rennstrecke, dabei waren wir erst um zwölf im Bett. Auch so eine von Michaels diversen Marotten: Immer der Letzte, der das Team verlässt, und morgens der Erste in der Box.
Der Große Preis von Belgien startet. Zwanzig Boliden schießen in einer einzigen pfeilartigen Bewegung
nach vorn. Michaels froschgrüner Jordan 191, den viele bis heute für den schönsten Wagen der Formel1-Geschichte halten, mittendrin. Michael erwischt vom Fleck weg einen Superstart, macht zwei Positionen gut und liegt schon nach wenigen Sekunden auf Platz fünf. Vor ihm nur noch die Weltmeister Piquet, Mansell, Senna und Prost.
Dummerweise, so schön er ist, dieser Jordan 191, fährt er an diesem Tag leider nicht sehr weit. Plötzlich macht es „pfft“, die Kupplung geht in die Knie. Und lässt Michael mitten in der La-SourceHaarnadelkurve verhungern. Ich würde sagen, es ist wie bei Frauen: Das Aussehen ist nicht alles. Wie ärgerlich. Ausgerechnet! Wo sie doch vorher in Silverstone so viel Gewese um den Motor gemacht haben, fällt ausgerechnet der jetzt nicht aus.
Michael kommt zurück in die Box und ist schrecklich enttäuscht. Verständlich. Es gibt noch ein letztes Briefing. Und von der Box aus schauen wir die restlichen 59 Runden. Das gehört leider auch dazu: Ausscheiden. Verlieren. Und den anderen beim Gewinnen zusehen. „Kopf hoch!“, muntere ich ihn auf. „Du hast genug gezeigt von deinem Können. Wart‘s mal ab.“Aber tief in meinem Inneren bin ich überzeugt, dass Michael das Rennen ohne Technikpech gewonnen hätte.