„Manchmal schwillt mir der Kamm“
Umweltsenator über den Wahlkampf und die Chancen der Grünen
Im Podcast „Wie ist die Lage?“spüren wir seit über einem Jahr tagesaktuellen Fragen nach. Dafür spricht Gute-Leude-Chef Lars Meier fast jeden Tag mit einer interessanten Hamburger Persönlichkeit. Dieses Mal macht dies Asklepios möglich. Die Gespräche finden über das Telefon statt. Heute spricht PR-Profi Lars Meier mit Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne).
Lars Meier: Herr Kerstan, Sie hatten hoffentlich einen schönen Urlaub. Corona und der Wahlkampf haben allerdings keinen Urlaub gemacht. Ist die Erholung schon wieder vorbei? Jens Kerstan:
Ja, ich bin schon wieder ordentlich eingestiegen, aber da ich vier Wochen lang wirklich ausgespannt habe, fühle ich mich noch sehr gut. Das ist ja sowohl bei den Themen hier in Hamburg als auch beim Bundestagswahlkampf ganz wichtig.
Sie haben die „Boxhandschuhe“herausgeholt und sagten, dass für Olaf Scholz Klimaschutz nur Gedöns gewesen sei. Erklären Sie das bitte.
So war es. Insofern stimmt das mit den Boxhandschuhen schon. Was einzelne Leute im Bundestagswahlkampf gesagt haben, da schwillt mir schon manchmal der Kamm, weil es überhaupt nichts damit zu tun hat, wie ich sie erlebt habe. Und das ist beim SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, unter dem ich eine Zeit lang Umweltsenator in Hamburg war, fast am extremsten. Mit Olaf Scholz hatte ich damals viele Auseinandersetzungen und Kämpfe, um überhaupt irgendwelchen Klimaschutz hier in Hamburg durchsetzen zu können. Ihn jetzt hören zu müssen, wie er sich als Vorreiter des Klimaschutzes in der Bundesregierung brüstet, der ab dem ersten Tag richtig Gas gibt, da muss ich schon sagen, dass das nicht meinen Erinnerungen entspricht, die ich hier mit ihm in Hamburg hatte. Mit ihm musste man sich viel auseinandersetzen und am Ende hat ihn eigentlich Klimaschutz damals nicht wirklich interessiert.
Kann es sein, dass die Grünen mit ihren Themen nicht immer richtig durchkommen? Marcus Weinberg berief sich auf die Bibel wegen des C im Parteinamen, Carola Veit zitierte das Godesberger Programm. Sie haben sich erst in den 80ern gegründet und kamen erst sehr spät mit Ihrem Thema um die Ecke. Oder wie ist die Wahrheit?
Erst mal haben wir uns mit dem Thema schon mal durchgesetzt, weil es in Sonntagsreden der anderen Parteien auch durchkommt. Aber im Gegensatz zu allen anderen haben wir unsere Position in den letzten 30 Jahren nicht verändert. Für uns war Klimaschutz immer zentral und ein wichtiges Anliegen. Und das ist es auch immer noch. Im Gegensatz zu anderen ist es bei uns schon so, dass Worte und Taten auch zusammenfallen. Um auf Olaf Scholz zurückzukommen: Er hat hier noch 2017 ein Kohlekraftwerk in Betrieb genommen und geschwärmt, dass es noch 40 Jahre laufen wird, während wir Grünen hier in Hamburg mittlerweile das schärfste Klimaschutzgesetz der Republik durchgesetzt haben.
Wenn Sie sagen, dass Scholz immer die Bremse getreten hat, ist das ein Lob für Peter Tschentscher?
Verglichen mit Olaf Scholz muss ich ihn hier schon loben. Unter ihm geht deutlich mehr als unter Scholz. Aber eben auch nicht alles. Wir sind jetzt ein bisschen im Clinch. In den letzten zwei, drei Jahren haben wir schon eine Menge auf die Beine gestellt. Aber angesichts des neuen Weltklimaberichts von IPCC wird deutlich, dass wir das Tempo anziehen müssen und nicht auf halber Strecke stehen bleiben dürfen. Da müssen wir noch diskutieren.
Annalena Baerbock ist in den Umfragen hoch gestartet und jetzt doch etwas abgestürzt, auch wenn Sie mit heutigem Stand Ihr letztes Wahlergebnis verbessern würden. Nervt es Sie, dass in Berlin einige Fehler gemacht wurden. Rufen Sie dort an?
Nein, den direkten Draht habe ich im Bundestagswahlkampf nicht, und ich glaube, dass der auch nicht sinnvoll ist. Annalena weiß selber, dass manche Dinge nicht gut gelaufen sind. Man darf aber auch nicht vergessen, dass bösartige Fouls gegen die Grünen von der anderen Seite gekommen sind. Insofern ist das nicht alles selbstverschuldet. Ich bin guter Dinge und sehe auch, dass Annalena und die ganze Partei kampfbereit sind und wirklich in den Wahlkampf gehen. Sie sagten es ja schon. Wir verbessern uns nicht nur ein bisschen im Vergleich zur letzten Bundestagswahl, sondern dass wir selbst in den schlechtesten Umfragen mehr als doppelt so stark wie letztes Mal sind. Und die Parteien liegen so nah beieinander, dass mit einem engagierten Schlussspurt noch viel möglich ist. Gerade beim Thema Klima und beim Blick nach Afghanistan wird deutlich, dass ohne die Grünen in der Bundesregierung vieles schiefläuft. Insofern können wir noch deutlich machen, dass es am Ende auf die Grünen ankommt. Und Annalena ist immer noch eine gute Kandidatin, die frischen Wind ins Kanzleramt bringen würde. Darum bin ich froh, dass wir geschlossen nach vorne gehen und uns nicht gegenseitig auf dem roten Telefon anrufen, um uns auszuheulen. Es geht jetzt um die Wurst. Beim Klimaschutz haben wir nur noch wenig Zeit, und es wird jetzt auf die nächste Bundesregierung ankommen. Entweder legt die jetzt die Hebel um oder wir werden es nicht mehr schaffen. Da werden wir Grüne gebraucht und das wollen wir jetzt nach vorne bringen.