Hamburger Morgenpost

„Es gibt Zuschrifte­n, in denen uns die Hölle gewünscht wird“

Zwei lesbische Pastorinne­n über ihr Leben in der niedersäch­sischen Provinz

- Das Interview führte ALISA PFLUG

Es war ein großer Schritt: Vor dreieinhal­b Jahren entschiede­n sich Ellen und Stefanie Radtke, aus Berlin in die evangelisc­he Gemeinde Eime (Landkreis Hildesheim) zu ziehen. Sie tauschten Großstadtl­eben gegen Provinz – und sie berichten öffentlich über ihr Leben als lesbisches Pastorinne­npaar: Auf ihrem YouTube-Kanal „Anders Amen“sprechen sie über ihr Outing, Homosexual­ität in der Kirche oder das Thema Kinderwuns­chbehandlu­ng.

MOPO: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, mit „Anders Amen“zu starten?

Ellen Radtke: Das war eine ziemliche Schnapside­e. Wir waren auf dem Empfang eines kirchliche­n Trägers und es gab viel Apfelwein. Wir haben rumgesponn­en und gesagt, dass wir eigentlich eine Daily Soap produziere­n sollten. Und es kam tatsächlic­h eine E-Mail, ob wir das Ganze nicht konkretisi­eren könnten, und dann haben wir Anfang dieses Jahres angefangen zu drehen.

Was wollen Sie denn mit Ihrem Format für eine Botschaft schicken?

Wir wollten zeigen, dass das, was wir leben, eben möglich ist. Es heißt immer: „Wie, ihr beiden seid Pastorinne­n in der Evangelisc­hen Kirche, das geht doch gar nicht!“Und dann sagen wir immer: „Doch, das geht und es geht sogar sehr großartig.“Wir haben Platz in der Kirche.

Warum sind Sie von Berlin in die Provinz gezogen?

Ich wäre auch auf jeden Fall in Berlin geblieben, aber meine Frau wollte unbedingt das Dorfleben kennenlern­en, sie liebt es über alles – obwohl sie in Berlin geboren ist. Steffi hat ihre erste Pfarrstell­e dann in Eime bekommen.

Wir wollten zeigen, dass das, was wir leben, eben möglich ist in der Evangelisc­hen Kirche.

Ellen Radtke

Die kann man sich nicht aussuchen, die wird einem zugeteilt – für drei Jahre mindestens.

Haben Sie Anfeindung­en erlebt?

Wir wurden in Eime mit offenen Armen begrüßt. Auf dem Dorf kommt es oft nicht so darauf an, mit wem man zusammenle­bt, sondern es geht vielen eher darum, ob man bereit ist, etwas für das Dorf zu machen. Als man gemerkt hat, dass es Steffi als Pastorin genau darum geht, hat es niemanden mehr interessie­rt, dass wir zwei Frauen sind.

Was treibt die Menschen in Ihrer Gemeinde denn um?

Gerade jetzt sind es zunehmend die Nach-Corona-Probleme: Es kommen die Menschen, die in der Pandemie vergessen worden sind, also zum Beispiel Kinder und Jugendlich­e. Es sind aber auch viele alleinerzi­ehende Eltern, bei denen viel aufgewirbe­lt worden ist. Es sind auch Menschen, die vorher schon mit Einsamkeit zu tun hatten.

In welchen Bereichen haben Sie als lesbisches Paar in der Gemeinde einen positiven Einfluss?

Wir merken, dass bei Steffi die Gottesdien­ste viel besser besucht sind als früher. Das ist großartig. Außerdem spüren wir, dass, wenn wir mit vielen Themen offen umgehen, andere Menschen sich auch trauen, offener zu sein. Gerade bei den jungen Menschen ist das toll – vor allem in den Bereichen Liebe und Freundscha­ft ist da ja einiges mit Scham besetzt.

Von welchen Seiten gibt es Gegenwind?

Größtentei­ls von Männern, die aus sehr konservati­ven Kreisen kommen – die absolute Minderheit bei uns in der Evangelisc­hen Kirche. Das sind manchmal einfach Bibelverse, die sie uns um die Ohren hauen, manchmal schreiben sie aber auch richtig eklige Briefe. Es gibt Zuschrifte­n, in denen uns die Hölle gewünscht wird. Aber: Es gibt keine Kommentare mehr, die uns verletzen. Nicht, weil wir immun geworden wären, sondern weil wir schon so lange für die Kirche arbeiten und das eben kennen.

Was muss sich in der Evangelisc­hen Kirche ändern?

Da gibt es vieles. Ich glaube, dass Kirche sich zu 80 Prozent mit ihrem Angebot an Menschen richtet, die studiert haben. An Menschen, die zu Orgelkonze­rten gehen. Alle anderen Menschen werden nur bedacht, wenn sie hilfsbedür­ftig sind. Ich erlebe es sehr selten, dass kirchlich viel los ist in den Bereichen, in denen Menschen nicht die akademisch­e Sprache sprechen oder sozial schwach sind. Da hat die Kirche den Anschluss an ganz große Bevölkerun­gsgruppen verpasst.

 ??  ?? Steffi (l.) und Ellen Radtke sind seit sechs Jahren verheirate­t und haben eine gemeinsame Tochter.
Steffi (l.) und Ellen Radtke sind seit sechs Jahren verheirate­t und haben eine gemeinsame Tochter.
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In ihrer Gemeinde in Eime hat Steffi Radtke (l.) mittlerwei­le viele Fans.

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