Hamburger Morgenpost

Was ist ein Leben wert?

„Kindeswohl“im Schauspiel­haus offenbart einen Gewissensk­onflikt

- Von HEIKO KAMMERHOFF

Wer darf über Leben oder Tod eines Menschen bestimmen? Für die meisten gibt es darauf nur eine gültige Antwort: diese Person selbst. Komplizier­ter wird es, wenn es sich um einen Minderjähr­igen handelt. Das Stück „Kindeswohl“verhandelt die moralische­n und ethischen Konsequenz­en dieser Entscheidu­ng auf der Bühne – und stupst damit nebenbei an sehr aktuellen Themen, ohne die Reizworte „Corona“oder „Impfen“zu erwähnen.

Im Zentrum von „Kindeswohl“(nach einem Roman von Ian McEwan) steht der 17-jährige Adam (Paul Behren). Er hat Leukämie, und seine Behandlung müsste dringend mit Bluttransf­usionen flankiert werden, sonst droht der schnelle Tod. Doch seine Eltern und er sind Zeugen Jehovas, und deren strenge und weltfremde Regeln verbieten genau diese Maßnahme.

Die Klinik klagt, und Richterin Fiona (Julia Wiesinger) tritt auf den Plan. Statt nach Aktenlage zu urteilen, möchte sie den jungen Mann kennenlern­en – und das führt zu einer fatalen Verstricku­ng. In einer Nebenhandl­ung pfeift ihre langjährig­e Ehe auf dem letzten Loch.

Regisseuri­n und Intendanti­n Karin Beier stellt die Konflikte pointiert und sehr elegant aus. Vor allem der Einsatz der Musik ist außerorden­tlich effektiv: scheinbar beiläufig, aber atmosphäri­sch zentral. Auch die Darsteller:innen selbst greifen immer wieder zu Instrument­en. So sind die gut zwei Stunden Kammerspie­l eine beherzte, durchaus unterhalts­ame Auseinande­rsetzung mit schwierige­n Fragen über den Wert des Lebens an sich, über gesellscha­ftliche Verantwort­ung und die Selbstbest­immung des Einzelnen.

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Paul Behren (v. l.), Yorck Dippe und Julia Wieninger in „Kindeswohl“

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