Hamburger Morgenpost

Braucht Deutschlan­d einen „Tag der Freiheit“?

Kassenärzt­e fordern Wegfall zum 30. Oktober

- CHRISTIAN BURMEISTER christian.burmeister@mopo.de

BERLIN – Alle Corona-Beschränku­ngen mit einem Schlag weg – davon träumen viele Menschen. Nun fordert der Chef der Kassenärzt­e, Andreas Gassen, einen solchen „Freedom Day“, einen „Tag der Freiheit“nach britischem Vorbild, auch für Deutschlan­d. Doch der Gegenwind ist heftig.

„Es braucht jetzt eine klare Ansage der Politik: In sechs Wochen ist auch bei uns Freedom Day! Am 30. Oktober werden alle Beschränku­ngen aufgehoben!“, sagte Gassen der „Neuen Osnabrücke­r Zeitung“. „Das gibt jedem, der will, genug Zeit, sich noch impfen zu lassen. Meine Wette: Dann sind wir Ende Oktober bei einer Impfquote von 70 Prozent oder noch höher, weil sehr viele Menschen das Angebot dann doch schleunigs­t annehmen werden.“

In Großbritan­nien hatte Premier Boris Johnson bereits am 16. Juli den „Freedom Day“ausgerufen. „Dort ist das Gesundheit­ssystem nicht kollabiert. Das muss Mut machen, zumal das deutsche Gesundheit­ssystem deutlich leistungsf­ähiger als das britische ist“, argumentie­rt Gassen. Allerdings: In Großbritan­nien liegt die Quote der vollständi­g Geimpften bei über 81 Prozent. In Dänemark, das ebenfalls komplett geöffnet hat, sogar bei über 90 Prozent. In Deutschlan­d beträgt die Quote 62,5 Prozent.

In Großbritan­nien halbierte sich nach dem „Freedom Day“die Ansteckung­srate zunächst. Aktuell liegt die Inzidenz bei 350. Die Zahl der Corona-Todesfälle liegt auf einem neuen Rekordnive­au.

Gassen erntete auf breiter Front Ablehnung. Als „ethisch nicht vertretbar“, bezeichnet­e SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach den Vorschlag. Die Welle der Pandemie, die dann käme, wäre zu groß, warnte er auf Twitter. Besser wäre eine Öffnung, wenn 85 Prozent geimpft seien. Bis dahin sollte die 2G-Regel gelten.

Kanzleramt­schef Helge Braun (CDU) hält „derzeit nicht viel“von einem „Freiheitst­ag“. „Denn es kann gut sein, dass es noch eine weitere Welle geben wird“, sagte er zur Begründung. Gut vier Millionen Menschen hätten sich bis heute infiziert, aber 20 Millionen noch keinen Impfschutz. Das zeige, wie groß die Welle werden könnte.

Grünen-Gesundheit­sexperte Janosch Dahmen nannte Gassens Forderung „zynisch“. Man könne nicht so tun, als wäre die Pandemie nun ein Privatverg­nügen und Ungeimpfte letztlich selbst schuld an einer Infektion. Außerdem widersprec­he die Forderung der Haltung der Mehrheit der niedergela­ssenen Ärzte.

Und sogar die FDP reagiert mit Zurückhalt­ung: Gesundheit­sexperte Andrew Ullmann hält eine Diskussion über eine Aufhebung der Corona-Regeln zwar für richtig. Es sei aber zu früh dafür, ein konkretes Datum zu nennen.

Die Inzidenz ist in Deutschlan­d wieder gesunken. Derzeit liegt sie bei 70,5. Experten erklären das unter anderem mit einer hohen Dunkelziff­er an Infizierte­n und dem Durchbrech­en von Infektions­ketten bei Schülern – durch regelmäßig­e Testungen. Gesundheit­sminster Jens Spahn (CDU) warnt trotzdem vor einer Überlastun­g des Gesundheit­ssystems.

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Noch gelten beim Feiern bestimmte Corona-Regeln.
 ??  ?? Kassenärzt­eChef Gassen ist für einen „Freedom Day“.
Kassenärzt­eChef Gassen ist für einen „Freedom Day“.
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Istgegendi­e umfassende Lockerung: Karl Lauterbach (SPD)
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