Zahlen sinken: Was steckt dahinter?
VIERTE WELLE Experten dämpfen Hoffnung: „Infektionsgeschehen ist sehr diffus“
BERLIN – Es ist vielleicht ein kleiner Hoffnungsschimmer: Erstmals seit Wochen hat es gestern keinen weiteren Anstieg bei den Corona-Neuinfektionen gegeben. Ist das Schlimmste der vierten Welle nun etwa überstanden? Experten warnen: Auf keinen Fall!
Die Kurve geht endlich wieder nach unten: Gestern Morgen meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) eine bundesweite SiebenTage-Inzidenz von 452,2 – ein erkennbarer Rückgang zu Montag (473,6). Auch der R-Wert, der angibt, wie viele Menschen ein Infizierter durchschnittlich ansteckt, liegt nun wieder unter 1. Der Virologe Hendrik Streeck bezeichnete das als „sehr gutes Zeichen“. Es gebe vorsichtige Hoffnung, dass die Infektionszahlen nicht weiter stiegen, sondern eine Art Plateau erreicht würde, sagte er der Mediengruppe RTL.
Auch wenn das erst mal vermeintlich gute Nachrichten sind: Das Schlimmste haben wir noch nicht überstanden. Und die Zahlen könnten ohnehin trügerisch sein: Es häufen sich Berichte über Gesundheitsämter, die überlastet sind und die Neuinfektionen kaum mehr in Gänze erfassen können. Das könnte zu Verzerrungen der Statistiken führen. Und um zu beurteilen, wie gut Deutschland die vierte Welle im Griff hat, wird schon längst nicht mehr nur die Inzidenz herangezogen.
Doch die zusätzlich betrachtete Hospitalisierungsrate ist umstritten, denn ihre Datengrundlage ist lückenhaft und es gibt einen starken zeitlichen Meldeverzug. Im Vergleich zum vergangenen Freitag sank der Wert zwar laut RKI von 8,19 auf gestern 5,73. Der Epidemiologe Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut erklärte aber im Deutschlandfunk, dass Corona-Diagnosen manchmal auch erst nach der Aufnahme eines Patienten gestellt würden. Daher könne die Zahl nicht „wirklich scharf“darstellen, was passiert.
Auch der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, warnte im Deutschlandfunk: Patienten, die sich in den vergangenen zehn Tagen mit Corona angesteckt haben und eine Behandlung brauchen, kämen erst noch in die Krankenhäuser. „Das heißt: Egal, was wir jetzt machen an Lockdown – in den nächsten zehn, zwölf Tagen werden weitere Tausende
von Patienten in die Krankenhäuser kommen und auch auf die Intensivstationen.“
Auch bis die Anzahl der Todesfälle zurückgeht, können aufgrund der Zeit zwischen Infektion und statistisch erfasstem Tod noch Tage oder gar Wochen verstreichen. Deutschlandweit wurden nach den neuen Angaben binnen 24 Stunden 388 Todesfälle verzeichnet, vor einer Woche waren es 309.
In Bayern, wo die Infektionszahlen deutlich höher als im Bundesdurchschnitt liegen, sind die Corona-Werte bereits seit einigen Tagen rückläufig. Der Münchener Infektiologe Christoph Spinner sieht die Entwicklung als möglichen Erfolg der jüngsten Maßnahmen in dem Bundesland. Neben 3G-, 2G- sowie 2G-plusRegelungen verwies er auf Schließungen von Bars und Clubs, Sperrstunden sowie steigende Impf- und Booster-Raten. Er mahnte aber weiterhin zur Vorsicht: „Das Infektionsgeschehen ist sehr dynamisch und diffus.“