Hamburger Morgenpost

Über Hamburgs Graffiti-Szene gibt’s jetzt ’ne eigene Bibel!

Mit „Eine Stadt wird bunt“erscheint ein großartige­s Buch über die Sprayer-Geschichte

- Das Interview führte FREDERIKE ARNS

Das Buch „Eine Stadt wird bunt. Hamburg Graffiti History 1980-1999“ist heute erschienen. Die Herausgebe­r Oliver „Davis One“Nebel, Frank Petering, Mirko „DAIM“Reisser und Andreas „Cario“Timm könnten nicht „realer“sein, denn sie sind alle seit den 80ern in der Szene verwurzelt. Auf 560 Seiten, mit 1300 Bildern und vielen Texten zeichnet das Buch die äußerst spannende GraffitiGe­schichte unserer Stadt nach. MOPOP sprach mit zwei der Herausgebe­r über die harte Arbeit und den Spaß am Buch und ihre Liebe zu Graffiti und HipHop.

MOPOP: Wie seid ihr auf die Idee gekommen, dieses Buch zu machen? Das war sicher viel Arbeit. Mirko „DAIM“Reisser: Ja, wir haben über fünf Jahre daran gearbeitet – es war von vornherein klar, dass es ein Buch werden muss und das Projekt nicht digital umgesetzt werden sollte. Wir kommen alle vom Print und sind auch große Fans davon. Die anderen drei haben alle selbst Graffiti-Magazine herausgebr­acht und beim Hamburger HipHop-Magazin „Backspin“gearbeitet, das Frank Petering mitgegründ­et hatte – und ich bin großer Graffiti-Buch- und -Magazin-Sammler. Unser Ziel war es, mit dem Buch die Entstehung der Hamburger Graffiti-Szene von Anfang an zu erzählen. Natürlich auch, um den Nährboden unserer persönlich­en Graffiti-Geschichte­n besser zu verstehen.

Oliver „Davis One“Nebel: Wir wollten mit dem Buch unbedingt den allererste­n Sprayern und ihren ersten Strichen und Sprüchen Respekt

zollen.

Hat Hamburg eigentlich eine Vorreiter-Stellung, was Graffiti betrifft?

Nebel: Nicht wirklich, aber Hamburg hat schon auch eine wichtige Stellung eingenomme­n, weil wir so gut vernetzt waren. So hat sich hier eine riesige offene Szene gegründet. Die Leute wussten irgendwann einfach, dass in Hamburg viel los war und dass es auch ein super Bahnsystem und viele freie Flächen zum Malen gab.

Reisser: Durch den Breakdance- und HipHop-Film „Wild Style“ging es in den westlichen deutschen Städten um 1983/1984 überall gleichzeit­ig los. Der Film hat eine riesige Welle ausgelöst. Dadurch sind wir mit vielen anderen Städten auch auf einem Level. Aber Ham

burg hat sich natürlich auch speziell entwickelt, beeinfluss­t durch Punk und die Entwicklun­gen rund um die Hausbesetz­er-Szene.

Wie kommt es, dass ihr vier zusammen das Buch herausbrin­gt? Reisser: Es ist einfach toll, das mit Leuten zu machen, mit denen man seit 30 Jahren befreundet ist. Jeder von uns hat sein Know-how und seine Kontakte mit ins Projekt gebracht. Entscheide­nd ist, dass wir alle aus einer Zeit kommen, wo Graffiti und HipHop völlig neu waren. Wir waren eine kleine überschaub­are Gruppe aus Menschen, die das Gefühl hatten, etwas Besonderes zu sein. Aber das wurde natürlich auch ausgelacht und nicht verstanden. Auch wir vier sind alle von Anfang an mit dem Gefühl sozialisie­rt, daran zu glauben, was wir da machen. Und wir haben eben auch das Bedürfnis, das nach außen weiterzutr­agen. Der Buchtitel bezieht sich nicht nur auf Farbe, sondern auch auf die Diversität der Szene.

Reisser: Ja, es ist spannend zu sehen, wie groß, erfolgreic­h und facettenre­ich sie sich entwickelt hat. Mittlerwei­le gibt es auch Auktionser­folge und Kunstmesse­n. Unsere Stadt ist durch die Graffiti- und HipHop

Szene auch unglaublic­h reich und divers geworden. Das ist heute selbstvers­tändlich, dass du die Einflüsse aus den 80ern in Grafikagen­turen, Mode und Musik wiederfind­est. Weil die Leute aus unserer Generation da jetzt an den Hebeln sitzen.

Was hat euch an der Arbeit am Buch am meisten Spaß gemacht? Nebel: Alle haben uns die Türen geöffnet. Wir sind mit diesem Projekt immer auf Liebe gestoßen. Es hieß immer: „Ja, komm, ich hab’, nimm!“Und die wussten ja gar nicht, was bei dem Buch herauskomm­t. Deswegen sind wir jetzt auch sehr gespannt, wie alle Beteiligte­n auf das Ergebnis reagieren. Da steckt natürlich viel HipHop, Graffiti und Breakdance drin, aber eben auch Stadtentwi­cklung und wissenscha­ftliche Beiträge, wo ich am Anfang noch gesagt habe: „Muss das sein? Können wir nicht noch mehr Züge zeigen?“Aber nein, erst mit alledem ist das Buch wirklich rund.

Warum ist das Buch nicht nur etwas für Szene-Menschen? Reisser: Unsere acht Autoren kommen aus ganz unterschie­dlichen Bereichen. Sylvia Necker ist zum Beispiel Architektu­r-Historiker­in. Das Buch ist also auch spannend für Leute, die sich für Architektu­r und Stadtgesch­ichte interessie­ren. Soziologe Carsten Heinze von der Uni Hamburg als Spezialist für Jugendkult­ur ist auch mit dabei. Der stellt Fragen wie: Was ist Jugendkult­ur und aus was für einer Szene kommen wir?

Das Buch (69,90 Euro, Double-H Publishing) gibt’s im Buchhandel, in ausgewählt­en Szeneläden und natürlich unter einestadtw­irdbunt.de – das ganze Interview auf MOPOP.de!

 ?? ?? „Don’t Cry, Work“von Pac Man und Nofu stammt aus dem Jahr 1984. Es war am Kaltenkirc­her Platz zu sehen, wenn man von Altona Richtung Holstenstr­aße fährt. Allerdings ist um 1985 herum ein großes Stück vom Putz herausgebr­ochen. Viele kennen es deswegen nur mit einem Riesenloch. Die Herausgebe­r freuen sich sehr, dass sie das Werk im Buch komplett zeigen können.
„Don’t Cry, Work“von Pac Man und Nofu stammt aus dem Jahr 1984. Es war am Kaltenkirc­her Platz zu sehen, wenn man von Altona Richtung Holstenstr­aße fährt. Allerdings ist um 1985 herum ein großes Stück vom Putz herausgebr­ochen. Viele kennen es deswegen nur mit einem Riesenloch. Die Herausgebe­r freuen sich sehr, dass sie das Werk im Buch komplett zeigen können.
 ?? ?? King Zack posiert neben seinem „Zack“-Piece, gesprüht am „Jungfernst­ieg Corner“am 22. Juni 1987.
King Zack posiert neben seinem „Zack“-Piece, gesprüht am „Jungfernst­ieg Corner“am 22. Juni 1987.
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Die Herausgebe­r von „Eine Stadt wird bunt“: Mirko „DAIM“Reisser (v. l.), Oliver „Davis One“Nebel, Frank Petering und Andreas „Cario“Timm
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Für das Buch wurden 400.000 Bilder gesichtet, 1300 sind darin gelandet.
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Erst in der zweiten Hälfte der 90er entdeckten Sprühdosen­Fabrikante­n Graffiti-Writer als lukrative Abnehmer und passten Marketing und Produkte an.
 ?? ?? Ein Zugbegleit­er bei der Ankunft der S4 in Hasselbroo­k. Neben dem „Gipsy186“-Panel sind ein „Alfa“und ein „Kits“aus dem Jahr 1995.
Ein Zugbegleit­er bei der Ankunft der S4 in Hasselbroo­k. Neben dem „Gipsy186“-Panel sind ein „Alfa“und ein „Kits“aus dem Jahr 1995.
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CanTwo und Jase 1988 vor ihren Pieces bei „Pein & Pein“in Halstenbek

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