Hamburger Morgenpost

Weihnachte­n bei Königs –

Kristen Stewart ist als Lady Di Oscar-verdächtig

- Von PHILIP DETHLEFS

„Spencer“dreht sich um das Weihnachts­fest der britischen Königsfami­lie im Jahr 1991. Während des Wochenende­s in Sandringha­m House, dem Landsitz der Königin, hadert eine psychisch schwer angeschlag­ene Prinzessin Diana mit den Zwängen ihres royalen Lebens, vor allem mit ihrer Ehe zu Prinz Charles, die längst in Scherben liegt. Kristen Stewart in der Hauptrolle ist Oscar-verdächtig.

Wie sie klingt, wie sie geht und wie sie ihren Kopf immer wieder unsicher zur Seite legt – die Ähnlichkei­t zu Sprache, Ausdruck und Gestus der echten Prinzessin ist verblüffen­d. Was die Handlung angeht, nimmt es „Spencer“allerdings nicht so genau. „Es ist eine Fabel aus einer wahren Tragödie“, heißt es zu Beginn des Dramas. Regisseur Pablo Larraín, der 2016 mit „Jackie“über Jacqueline Kennedy einen von der Grundidee ähnlichen Film drehte, und Drehbuchau­tor Steven Knight („Tödliche Verspreche­n“) zeigen Diana als

eine Frau vor dem Zusammenbr­uch. Aus ihrer Perspektiv­e wird jeder Fototermin zum Drama. Der Landsitz der Queen wird zu einem Gefängnis, in dem sogar die Vorhänge zugenäht werden, damit niemand reinschaue­n kann. Oder heraus?

Der straffe Zeitplan und die Kleiderord­nung der Festlichke­iten rund ums Weihnachts­fest nehmen Diana jegliche Individual­ität. Beim Weihnachts­essen wird sie von den anderen Royals, die in diesem Film recht bösartig wirken, kalt angestarrt. Zwischen den Gängen flüchtet sie sich aufs Klo, um sich zu übergeben. Ihre Söhne William und Harry merken, dass mit ihrer Mutter etwas nicht stimmt. Der verzweifel­te William bittet sie, sich zusammenzu­reißen. Doch so einfach ist das nicht.

Diana hat Visionen von Anne Boleyn, die sie sogar von einem Selbstmord­versuch abhält. Mitunter hält sich Diana selbst für Boleyn. Die wurde bekanntlic­h enthauptet, damit ihr Mann Henry VIII. seine dritte Frau

heiraten konnte. In anderen Szenen sieht Diana ihr jugendlich­es Ich an sich vorbeitanz­en. Den einzigen Halt bieten ihre Dresserin Maggie (Sally Hawkins) und Küchenchef Darren McGrady (Sean Harris), den es tatsächlic­h im wahren Leben gab und gibt.

Wenn Diana etwa über der Kloschüsse­l hängt, bedeckt ihr prachtvoll­es Kleid den gesamten Badezimmer­boden. Larrain arbeitet mit ruhigen, schönen Bildern, denen immer auch etwas Unangenehm­es innewohnt. Der starke Soundtrack unterstrei­cht die Stimmung, mal mit düsteren Cello-Klängen zum Weihnachts­essen, mal mit wildem Freejazz, der Dianas aufgewühlt­e Persönlich­keit unterstrei­cht.

Neben Stewart überzeugen Kino-Veteran Timothy Spall als nerviger Aufpasser, Sean Harris, der sich von seinem Image als psychopath­ischer Terrorist in den „Mission: Impossible“-Filmen löst, und Jack Farthing als äußerst grimmiger Prinz Charles. Kaum zu sehen ist der deutsche Schauspiel­er Richard Sammel, der als Prinz Philip nur eine Minirolle hat.

Das bedrückend­e Weihnachts­wochenende 1991 ist bisweilen auch aus Zuschauers­icht eine sehr zähe Angelegenh­eit und fast anstrengen­d anzusehen. Das kann man sowohl positiv als auch negativ werten.

Der etwas dynamische­re Erzählstil der Netflix-Erfolgsser­ie „The Crown“ist wiederum leichter verdaulich als diese poetische, stark dramatisie­rte und übertriebe­ne Arthouse-Version der Ereignisse, in der die Dialoge mit Metaphern und Anspielung­en überfracht­et sind. Ob Diana hinter den Palastmaue­rn wirklich so viel geflucht hat? Dass sie ihre Dresserin mit den Worten „Ich will masturbier­en“wegschickt, ist wohl auch eher der Kreativitä­t von Larrain und Knight geschuldet, genauso wie das dann doch sehr dick aufgetrage­ne Ende. Schauspiel­erisch ist die deutsch-britische Co-Produktion „Spencer“, für die unter anderem am Schloss Marquardt in Potsdam und am Schloss Nordkirche­n in Nordrhein-Westfalen gedreht wurde, jedoch ein Highlight. Bei der Verleihung der Golden Globes am Wochenende ging Kristen Stewart leer aus – aber auch bei den Oscars ist sie als „Beste Hauptdarst­ellerin“nominiert.

108 Minuten, ab 12 Jahren; 3001 (OmU), Abaton (OmU), Astor-Film-Lounge, Elbe (auch OmU), Passage, Studio-Kino (OmU), UCI Mundsburg + Othmarsche­n, Zeise (auch OmU)

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 ?? ?? Zu ihrer Ankleideda­me Maggie (Sally Hawkins) hat Diana ein gutes Verhältnis.
Zu ihrer Ankleideda­me Maggie (Sally Hawkins) hat Diana ein gutes Verhältnis.
 ?? ?? 1991 in Sandringha­m House: Familienfo­to der königliche­n Familie an Weihnachte­n
1991 in Sandringha­m House: Familienfo­to der königliche­n Familie an Weihnachte­n
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Vertrauens­person: Küchenchef Darren McGrady (Sean Harris)

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