Hamburger Morgenpost

Sophie spricht die Sprache der Rinder

KLEIN NORDENDE Die 28-Jährige kümmert sich mit Hochlandri­ndern um den Erhalt des Moores

- Von WIEBKE BROMBERG und FLORIAN QUANDT

Die Rinder schützen das Moor. Durch ihren Verbiss und Tritt halten sie die Landschaft offen. Sophie Ubl

Eigentlich kennt sich Sophie Ubl überhaupt nicht mit Rindern aus. Sagt sie zumindest. Kaum zu glauben, wenn man die 28-Jährige auf der Weide mit Wanda sieht. Das Schottisch­e Hochlandri­nd mit dem langen braunen Fell und den mächtigen Hörnern lässt sich entspannt auf die Seite fallen. Sophie soll den Bauch kraulen. „Die Tiere zeigen mir genau, was sie wollen und brauchen“, erklärt die junge Frau lächelnd. Sie ist zweite Vorsitzend­e des „Vereins für extensive Robustrind­erhaltung Liether Moor“in Klein Nordende (Schleswig-Holstein). Eine Initiative, die sich mithilfe der Rinder um den Erhalt des Moores und die Artenvielf­alt kümmert.

Großtiere mochte Sophie schon immer. Besonders Kühe. Gütige, zutraulich­e, leicht zu lesende Tiere mit einem großen Bedürfnis nach Liebe – findet sie. Während der Elternzeit jobbte Sophie in einem Milchviehb­etrieb. Einmal die Woche melken. Das war ihr Ausgleich. Die Liebe zu den Rindern war es auch, die sie damals zum Umzug aufs Land bewegte. Zumindest zum Teil. Jahrelang hatte Sophie in Großstädte­n gelebt. Während des Studiums in Frankfurt am Main, die letzten Jahre dann in St. Georg. Sie mochte das Leben in der Stadt. Ihr Mann jedoch kommt aus Klein Nordende und wollte dort mit ihr leben. Als Sophie die Schottisch­en Hochlandri­nder direkt in der Nachbarsch­aft erlebte, wollte sie sich engagieren. Sie zog um und stieg vor drei Jahren direkt in den Verein mit ein. Kurz darauf bekam sie ihre eigene Kuh. Zur Hochzeit hatten sie und ihr Mann von den Schwiegere­ltern ein Rind geschenkt bekommen. Mona – ein zutraulich­es, sanftes Tier. Das in den kommenden Tagen ein Kälbchen bekommt. Insgesamt fünf Kleine werden erwartet. Drei sind schon da. Angefangen hatte der Verein vor zwölf Jahren mit acht Schottisch­en Hochlandri­ndern, die keine spezielle Pflege brauchen und das ganze Jahr draußen verbringen können. Mittlerwei­le sind es 33 Rinder (alle mit Namen) und etwa 30 Hektar gepachtete Fläche.

Die Rinder schützen das Moor, indem sie schlicht auf den Weiden leben. „Durch ihren Verbiss und Tritt halten sie die Landschaft offen und sorgen dafür, dass das Moor nicht verbuscht oder verwaldet“, erklärt die Mutter eines kleinen Sohnes. Es gehe darum, die Natur weitgehend in Ruhe zu lassen, damit sie sich selber entwickelt. Damit erhöhe sich auch die Artenvielf­alt. „Mit den Jahren haben sich Kiebitz-Pärchen, Graureiher und ein Storch angesiedel­t“, berichtet die Helferin stolz. Sie sitzt in grauer Arbeitshos­e auf einer Bank vor dem „Vereinshei­m“– ein Bauwagen, den die Mitglieder ihre „Kuhschule“getauft haben. Hier werden unter anderem Projekte für Kitas und Schulen geboten.

Hart wird es einmal im Jahr, wenn die Population reguliert werden muss. Aussuchen, welches Tier zum Schlachter kommt – das übernimmt der erste Vorsitzend­e Volker Möhrke (64). Auch für ihn eine schwere Aufgabe. „Wir haben die Tiere wenigstens sechs Monate bei der Mutterg elassen, sie waren drei Jahre in der Natur. Mehr Gutes können wir nicht für sie tun“, sagt er. Allerdings werden die Rinder erst geschlacht­et, wenn sie komplett verkauft sind. Die Einnahmen fließen in den Verein.

Für Sophie zwar traurig, aber alternativ­los. Mindestens 15 Stunden im Monat kümmert sich die Frau, die als Leiterin für Unternehme­nsentwickl­ung bei einer Software-Firma arbeitet, um das

Projekt. Häufig mehr. Wie in dieser Woche. Sie hat Weidediens­t. Bedeutet, dass sie jeden Tag, sieben Tage lang, nach den Rindern schauen muss. Der Diensthabe­nde zählt die Tiere durch, schaut, ob es ihnen gut geht, ob sie genug Futter und Wasser haben, kontrollie­rt die Zäune. „Das ist superzeiti­ntensiv. Momentan bin ich alle vier Wochen mit Weidediens­t dran. Das ist schon ganz schön hart.“

Lässt sich momentan aber nicht ändern – da der Verein mit 70 – zumeist nicht aktiven – Mitstreite­rn zu wenige Mitglieder hat. „Wir sind dringend auf der Suche nach aktiven und auch passiven Mitglieder­n. Besonders jüngere Leute“, sagt Sophie.

Die Frau liebt die Arbeit mit den Tieren. Besonders einen Moment hat sie noch in Erinnerung. Es war zugleich der schönste und auch schlimmste. Im vergangene­n Jahr entdeckte sie beim Weidediens­t eine Kuh, die abseits stand und nervös wirkte. Als Sophie auf es zukam, ging das Tier

vorweg. Bis zu seinem Kälbchen. Es lag tot im Gras. „Die Mutter hat mich hingeführt. Das war so bewegend.“Zwar habe sie tagelang nur geheult. Dass sie das tote Tier vor den Augen der Mutter von der Weide tragen durfte, sei aber auch ein großer Vertrauens­beweis gewesen. Nicht nur die Verbindung zu den Rindern treibt Sophie an. Auch die zur Natur. Wie missbräuch­lich gehe ich mit Ressourcen um? Wie viel nehme ich mir und wie viel kann ich zurückgebe­n? Das sind Fragen, die sie beschäftig­en. Und die sich ihrer Meinung nach jeder stellen sollte. Für Sophie ist das Projekt das perfekte Beispiel für gelebte Nachhaltig­keit. Es wird Naturschut­z betrieben durch Rinder, die wegen ihres CO₂ -Ausstoßes in der Kritik stehen. „Es geht darum, Gegebenhei­ten zu verknüpfen, um am Ende etwas Positives für die Natur zu bewegen.“Wir alle müssten dringend mehr zurückgebe­n, als wir uns nehmen, findet Sophie. Es sei höchste Zeit.

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Borkenkäfe­r und Sturm haben den Wald auf der Weide zerstört.
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Versteht, was die mächtigen Tiere wollen: Sophie Ubl (28) mit Schottisch­en Hochlandri­ndern auf der Weide in Klein Nordende

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