Revolutionäre auf Stammtischniveau
Der Delinquent habe sich „seiner indicirten Theilnahme an staatsverrätherischen Handlungen durch die Entfernung aus dem Vaterlande entzogen“, formulierte die Obrigkeit steckbrieflich korrekt und beschrieb den Gesuchten: 21 Jahre, blond, graue Augen, sehr gewölbte Stirn, starke Nase, kleiner Mund. Besondere Kennzeichen: kurzsichtig.
Der Medizinstudent hatte einen Geheimbund namens „Gesellschaft der Menschenrechte“gegründet, um gegen fürstliche Ausbeutung und Willkür zu agitieren.
Die revolutionäre Dynamik der Verschwörer hielt sich jedoch in Grenzen. Ein Mitglied berichtet von konspirativen Treffen auf Stammtischniveau. Es wurde „Bier gebracht, Pfeifen angezündet und über Mädchen, aber in anständiger Weise, gesprochen. Dann gingen die Verschworenen wieder einzeln mit größter Vorsicht fort.“Als der Medizinstudent eine Flugschrift mit der kämpferischen Kopfzeile „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“druckte, verriet ihn prompt ein Spitzel aus eigenen Reihen. Unter dem gnadenlosen Regime seines Landesherren mussten sogar zufällige Empfänger eines aufrührerischen Flugblatts mit harten Strafen rechnen, falls sie die Zusendung nicht unmittelbar zur Anzeige brachten. Im Hause des Vaters, pikanterweise ein Hofmedizinalrat in fürstlichem Dienst, wartete der Verratene den Ausgang der polizeilichen Untersuchungen ab. Dabei schrieb er in wenigen Wochen ein Drama über einen Protagonisten der Französischen Revolution, das heute zu den Klassikern deutscher Literatur zählt. Ein weiteres Drama, eine Novelle und ein Lustspiel bilden des jungen Mannes Gesamtwerk. Über Straßburg floh er nach Zürich. Dort promovierte er mit einer Untersuchung „Über das Nervensystem der Fische“und avancierte nach einer Probevorlesung „Über Schädelnerven“im November 1836 sogar zum Universitätsdozenten – mit 23 Jahren. Drei Monate später starb er an einer akuten Fieberkrankheit. Der erste Herausgeber seines Gesamtwerks beurteilte 1878 dessen Bedeutung: „Zum ersten Male in Deutschland tritt darin ein Demokrat nicht für die geistigen Güter der Gebildeten ein, sondern für die materiellen der Armen und Unwissenden.“Doch erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts eroberten seine Stücke die Bühnen. Zur gleichen Zeit errichteten in seiner Heimatstadt progressive Künstler auf der Mathildenhöhe eine Atelier- und Wohnkolonie. Die Bauweise im Jugendstil mit dem „Hochzeitsturm“des Architekten Joseph Maria Olbrich geriet zur Sensation. Der Turm mit dem eigenartigen Abschluss – geformt wie fünf Finger einer Hand – wurde zum Wahrzeichen der Stadt. In Olbrichs „Ernst-Ludwig-Haus“auf der Mathildenhöhe residiert heute die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Alljährlich vergibt sie einen Literaturpreis, der den Namen des so jung verstorbenen Dramatikers trägt. Wie hieß er? In welcher Stadt verbrachte er die längste Zeit seines kurzen Lebens?