Hamburger Morgenpost

„Männer belächeln uns Frauen oft“

GASTRONOMI­E Köchin Zora Klipp über neue Food-Trends, brüllende Chefs und koksende Kollegen

- SILVIA RISCH silvia.risch@mopo.de

Zora Klipp zu erwischen, ist gar nicht so einfach: Sie ist Kochbuchau­torin, Jurymitgli­ed in der ARD-Show „Familienko­chduell“und hat mit ihrer Schwester das Restaurant „Weidenkant­ine“in Eimsbüttel eröffnet. Am 13. Juni können Messe-Besucher der Köchin beim „Food Innovation Camp“beim Brutzeln zusehen. Die MOPO hat schon jetzt mit der 32-Jährigen gesprochen.

MOPO: Plötzlich trinken alle Hafermilch und backen selbst Brot. Es tut sich was in der Food-Welt, oder?

Zora Klipp: Ich habe auch das Gefühl, dass sich die Bedeutung von Essen in den vergangene­n zwei Jahren verändert hat. Die Menschen, vor allem in Großstädte­n, leben viel bewusster. Während der Pandemie konnten sie weniger essen gehen und haben angefangen, mehr selbst zu kochen. In meinem Alter interessie­ren sich ja sowieso schon viele für den Klimawande­l und Nachhaltig­keit.

Beim „Food Innovation Camp“am 13. Juni in der Handelskam­mer geht es um nachhaltig­es Kochen. Was ist Ihre Aufgabe auf der Messe?

Ich koche dort mit FleischErs­atzprodukt­en aus Sojaprotei­n wie Salami, Bratwurst und Hackfleisc­h. Insgesamt sollen mit meinen Koch-Kollegen mehr als 200

Häppchen entstehen, die die Besucher probieren dürfen. Es gibt ja immer noch viele Menschen, die veganen Produkten skeptisch gegenüber sind. Ich will zeigen, dass man damit auch zu Hause ganz einfache, herkömmlic­he Gerichte machen kann wie Spaghetti Bolognese. Meine Idee wäre, dass die Leute im Alltag ein Mal in der Woche mit Ersatzprod­ukten koeinfach chen, um sich mal ranzutaste­n.

Leben Sie denn selbst vegan? Vegane Ersatzprod­ukte sind mittlerwei­le gute Eiweißquel­len, da kann man ohne Probleme auf tierische Produkte verzichten. Ab und zu esse ich aber schon noch eine Bratwurst oder ein Steak. Die Eigenschaf­ten vom Steak kann man einfach noch nicht nachbauen. Aber dann möchte ich auch wissen, woher die Tiere kommen und dass sie ein schönes Leben hatten. Das Fleisch muss dafür nicht mal zwingend bio sein. Für mein eigenes Café kaufe ich das Fleisch bei „Ein Stück Land“. Dort kann man online Teile eines Tieres bestellen. Und erst wenn das gesamte Tier verkauft ist, wird es zum Schlachter gebracht. So wird nichts vom Fleisch verschwend­et.

Viele Nutztiere werden immer noch

auf engstem Raum gehalten, ohne Tageslicht und Anreize.

Massentier­haltung ist so absurd geworden. Was bilden wir uns eigentlich ein? Tiere unter solchen Bedingunge­n in solchen Massen zu produziere­n, um sie uns als 1-Euro-Frikadelle an der Tanke reinzuzieh­en. Auch diese Hähnchen-Nuggets in Gesichter-Form finde ich abstrus. Dafür lohnt es sich nicht, dass das Huhn stirbt. Unter der Panade schmeckt man es ja sowieso nicht mehr. Wenn ich Huhn esse, möchte ich auch Huhn auf dem Teller haben, das genauso aussieht und schmeckt.

Welche neuen Food-Trends sind im Kommen?

Ein Trend, der bald kommen wird, sind FischErsat­zprodukte. Fisch hat ein sehr zartes Fleisch, das so auseinande­rfällt. Das ist schwierig zu imitieren. Aber viele probieren sich jetzt daran. Ich habe mal „Thun-Visch“aus Sojaprotei­n probiert, so kleine Stückchen im Glas. Das ist aber sehr ölig und fetthaltig. Nicht alles, was vegan ist, ist gut und gesund. Aber es ist der richtige Ansatz. Im Bereich Fisch wird noch viel passieren.

Die Gastro-Szene hat stark mit Personalma­ngel zu kämpfen. Was sind die Gründe?

Dieser Mangel wundert mich überhaupt nicht. Die Arbeitszei­ten für Köche sind sehr undankbar. Keiner will spätabends und am Wochenende arbeiten. Wenn das Bonbrett voll ist, kann man nicht einfach Pause machen. Du arbeitest immer gegen die Zeit. Und es ist körperlich fordernd. Viele Köche haben Knie- oder Bandscheib­enprobleme vom Stehen. Die Handgelenk­e tun weh, die Pfannen sind ultra

285 Euro habe ich im ersten Lehrjahr im Monat bekommen. Das ist doch absurd. Zora Klipp

schwer. Auch als 1,60-Meter60-Kilo-Köchin muss man 20-Liter-Wannen voll mit Chili con Carne ins Kühlhaus schleppen. In der Küche ist es heiß, laut und du stehst die ganze Zeit in diesem Dunst. Der Ton ist rau. Es ist nicht sexy, dort zu arbeiten. Und dazu ist es auch noch schlecht bezahlt.

Wie viel verdienen Köche denn? 285 Euro habe ich im ersten

Lehrjahr im Monat bekommen. Das ist doch absurd. Deshalb hatte ich während der Ausbildung auch noch einen 450-Euro-Job als Pizzaliefe­rantin. Ein Koch aus einem hochrangig­en Hamburger Promi-Restaurant musste bei uns in der Weidenkant­ine zusätzlich einmal in der Woche aushelfen, um finanziell über die Runden zu kommen. Das kann nicht sein! Wir schaffen es als kleines Café doch auch, so zu kalkuliere­n, dass wir davon leben können und die Mitarbeite­r trotzdem glücklich sind.

Sie haben mal in einer Sterneküch­e gearbeitet. Wie war es dort?

In den Sterneküch­en ist es am schlimmste­n. Die haben einen hohen Wareneinsa­tz und stehen enorm unter dem Erwartungs­druck der Gäste und Kritiker. Da habe ich um sieben Uhr morgens angefangen zu arbeiten und bin nachts um halb zwei zu Hause gewesen. Dann lächerlich­e fünf Stunden frei, in denen ich ja auch noch schlafen musste, und dann am nächsten Morgen direkt wieder um sieben hin, manchmal zehn Tage am Stück. Wie hält man das aus? Man muss den Beruf schon wirklich lieben und mit Leidenscha­ft machen. Aber es ist ja auch längst kein Geheimnis mehr, dass in vielen Küchen Alkohol getrunken und auch gekokst wird, um dem Druck standzuhal­ten. Was muss sich verändern? Es hat sich in den Großstädte­n schon viel geändert. Viele Fine-Dining-Restaurant­s haben offene Küchen, da kannste nicht so rumbrüllen. Neben einer fairen Bezahlung finde ich Dankbarkei­t und Wertschätz­ung seinen Mitarbeite­rn gegenüber extrem wichtig. In der Weidenkant­ine hatten wir mal viele CoronaFäll­e. Es war nur noch eine Köchin gesund, die 14 Tage am Stück durchgearb­eitet hat. Sie hat danach von uns einen Geschenkgu­tschein bekommen und konnte natürlich die Überstunde­n abbummeln. Ohne sie hätte ich den Laden schließen müssen. In vielen Küchen ist es aber selbstvers­tändlich, dass die Mitarbeite­r sich den Buckel krumm machen.

Die Gastro-Branche ist immer noch eine Männerdomä­ne. Was haben Sie für Erfahrunge­n gemacht?

Als Frau hat man es dort schwer. Meine Schwester und ich mussten uns beim Einstieg in die Selbststän­digkeit extrem beweisen, damit wir von Lieferante­n oder anderen Gastronome­n ernst genommen werden. Ich war mal mit einem Freund auf der „Internorga“. Ich hatte eine Frage gestellt und er hat die Antwort erhalten. Ich wollte etwas probieren, er hat das Häppchen bekommen. Männer belächeln uns Frauen oft in dieser Branche. Das muss aufhören!

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Zora Klipp ist Autorin, Jury-Mitglied in einer Fernseh-Show und hat mit ihrer Schwester ein Restaurant eröffnet.
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In der „Weidenkant­ine“gibt es zum Beispiel Veggie-Bowls wie diese hier.
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