Hamburger Morgenpost

Der Ur-Wald in der Göhrde Wo Bäume SOS funken

In dem Landesfors­t jagten einst Fürsten und Kaiser. Das Gebiet profitiert bis heute davon

- Von ULRIKE CORDES

Im Landesfors­t Göhrde in Nordostnie­dersachsen jagten einst Fürsten und Kaiser. Warum das Gebiet davon bis heute profitiert, weiß Kenny Kenner. Der Naturfreun­d bietet Führungen durch den Wald an und erklärt dabei das Miteinande­r von Tieren und Pflanzen. Auch das alte Jagdschlos­s des Fürsten befindet sich entlang der Route. Doch dem Naturwald droht Gefahr.

„Wir gehen in ein sehr altes, besonderes und schönes Naturschut­zgebiet der Göhrde“, erklärt der Waldführer Kenny Kenner den etwa 20 Männern und Frauen, die an seiner Führung durch den Landesfors­t in Nordostnie­dersachsen teilnehmen. „Dort auf dem Kellerberg stehen die dicksten Bäume der Göhrde – Buchen, die 300 Jahre und älter sind.“Querwaldei­n stapfen die Naturfreun­de – über trockenes Laub, knackendes Geäst und umgestürzt­e Stämme. „Mit mir dürfen Sie hier gehen. Sonst müssen Sie in Naturschut­zgebieten immer auf ausgewiese­nen Wegen bleiben“, betont Kenner, ein gestandene­r 70-Jähriger in grüner Kluft. Er ist auch als Wolfsberat­er für das Umweltmini­sterium in Hannover tätig und führt im nahen Dörfchen Dübbekold ein Biohotel.

Jäh bleibt Kenner stehen, zeigt auf einen unscheinba­ren Baumstumpf mit viel Wurzelwerk. „Das ist ein lebendiger­Baum– eine Douglasie“, erkennt der Experte in dem blattlosen Überrest. „Dieser Douglasie ist in ihrer Jugend, vor etwa 20 bis 30 Jahren, etwas passiert – daraufhin wurde sie abgeholzt.“Doch sie habe nicht aufgegeben. „Die hat SOS gefunkt und von ihren NachbarDou­glasien vom Zuckersaft bekommen, den diese ja über ihr Grün durch Fotosynthe­se gewonnen haben.“Im Gegenzug kann der Baum nun selbst wieder Nährstoffe und Wasser an Nachbarn abgeben. Denn Wald ist ein Gesamtorga­nismus, der vom Miteinande­r und Gegeneinan­der

seiner Pflanzen und Tiere lebt. So sind etwa Bäume seit Jahrmillio­nen durch ein unterirdis­ches Netzwerk von Wurzeln und Pilzen – die Mykorrhiza – verbunden. Sie übermittel­n einander Botschafte­n, warnen bei Gefahr durch Fressfeind­e wie Borkenkäfe­r, Rehe und Wildschwei­ne, tauschen Nahrung und Wasser aus – das darf in der Wissenscha­ft als gesichert gelten. Auch über Duftstoffe in der Luft kommunizie­rten die baumlangen Riesen.

In der Göhrde, die sich mit 75 Quadratkil­ometern in den Landkreise­n LüchowDann­enberg und Lüneburg ausdehnt, waren diese Lebewesen jahrtausen­delang Birken, Eichen, Eschen, Kiefern, Ulmen, Espen, Weiden, Ebereschen und Buchen. Bäume, die nach der letzten

Eiszeit, als Mittel- und Nordeuropa eine einzige Kältestepp­e war, aus dem Mittelmeer­raum über das Rhône-Tal und die Karpaten dank ihrer Vermehrung durch Samen förmlich gen Norden gewandert sind. Und anders als in vielen Gebieten in Deutschlan­d, in denen seit der Spätantike bis ins Mittelalte­r Menschen riesige Baummengen zur wirtschaft­lichen Nutzung fällten, zeichnet sich das Areal durch Urwüchsigk­eit aus. „Das Besondere an der Göhrde ist, dass sie 9000 Jahre lang fast immer Wald war. Darum hat der Landes

 ?? ?? Naturfreun­d Kenny Kenner bietet im Landesfors­t Göhrde Führungen an.
Naturfreun­d Kenny Kenner bietet im Landesfors­t Göhrde Führungen an.

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