Hamburger Morgenpost

Starke Gefühle und düstere Kreativitä­t

KONZERT The National um Frontmann Matt Berninger begeistert­en den gut gefüllten Stadtpark

- Von JULIAN KÖNIG

„Dieser Song ist unheimlich“, warnt Bryce Dessner, Gitarrist von The National, das Publikum schon mal vor – und erntet dafür einen erstaunten Blick von Matt Berninger, geistiger Verfasser der Zeilen von „Green Gloves“, einem Stück darüber, wie man die Verbindung zu einem Menschen aufbaut, den man aus den Augen verloren hat. Es geht grob um Zuneigung, Grenzverle­tzungen, die beinahe ins Stalking übergehen. Berninger verteidigt sich: „Es ist ein ganz normaler Song.“Hinterher räumt er ein, dass die Hälfte doch unheimlich sei. Dessner ergänzt: „Unheimlich und depressiv. So verkaufen wir Platten.“

Was die Band aus dem Mittleren Westen der USA aber schon länger nicht mehr getan hat. Jedenfalls haben sich die Mitglieder in der Corona-Pause überwiegen­d eigenen Projekten gewidmet. Eine gemeinsame Platte sei zwar in Arbeit, heißt es, soll Ende des Jahres, vielleicht auch erst 2023 erscheinen.

An diesem Abend im Stadtpark ist das den knapp 4000 Zuhörern komplett wumpe. The National spielen ein unfassbare­s Set von insgesamt 22 Liedern, überwiegen­d gespeist aus den ersten drei Studioalbe­n der Band. Berninger wirkt dabei gewohnt angespannt. Live, so sagte er es schon oft, brauche er eine Zeit, um in die Rolle des Frontmanne­s zu gelangen. Am Montagaben­d dauerte es drei Lieder.

Der 51-Jährige, dessen Songtexte emotionale Jukeboxen sind, häufig vom Scheitern berichten, kaputten Liebschaft­en, aber auch Hoffnung, letzten Chancen, Groll und viel Schmerz, versucht das Spiel mit dem Publikum, begutachte­t es, läuft entlang des Bühnenhüge­ls. Die Arme meist verschränk­t oder irgendwie haareraufe­nd. Eine gelungene Inszenieru­ng seiner düsteren Kreativitä­t, getragen von einer Band, die das Zusammensp­iel schon vor Jahren perfektion­iert hat. Ich bin verhältnis­mäßig spät bei The National gelandet – und auch eher zufällig. Irgendwann an einem Morgen überließ ich meiner Homebox die Musikauswa­hl, die auf meinen Hörgewohnh­eiten aufbauend die Titel auswählte. Ich weiß noch genau, wie ich aus dem Bad ins Wohnzimmer kam, weil mich der Bariton von Matt Berninger direkt erwischt hatte. Ich drehte „I Need My Girl“auf und ließ es die Box immer und immer wieder spielen.

Im Stadtpark entscheide­n sich The National für eine minimalist­ische Version des Klassikers. Richtig gut. Ohnehin

gelingt die Kompositio­n aus Balladen und elektrisie­renden Liedern, wie zum Ende bei „Mr. November“, „Terrible Love“und „About Today“. Das Publikum, im Schnitt wohl um die 40 Jahre alt (gemeinsame­r Nenner Vans-Sneaker zu hochgekrem­pelter Röhrenjean­s), honoriert es durch ausgiebige­s Hüftwippen gepaart mit Überkopfkl­at

schen. Viel mehr ist bei The National an Tanzbarkei­t nicht möglich – und auch nicht nötig.

Bleibt eigentlich nur zu hoffen, dass es mit dem neuen Album dann auch direkt wieder auf Europa-Tour geht. In Hamburg, so ließ Berninger verlauten, spiele die Band schließlic­h besonders gerne. Hat man gemerkt.

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Braucht immer ein bisschen, um aufzutauen: The-NationalFr­ontmann Matt Berninger (51)

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