Laut ist das neue Leise
KONZERT In der Laeiszhalle rissen die Kings of Convenience die Menschen aus ihren Sitzen
Sie sehen immer noch aus wie schluffige Philosophiestudenten im 28. Semester, die verträumt auf die Welt schauen und vor lauter Zerstreuung sogar vergessen, ihre Gitarrenplektren mit auf die Bühne zu nehmen.
Erlend Øye und Eirik Glambek Bøe, die vor knapp 20 Jahren mit ihrer Spielart von zarten Kaminfeuer-Gitarrenballaden berühmt wurden, veröffentlichten damals ein Album, dessen Titel gleichzeitig zum Lebensgefühl der entschleunigten Latte-MacchiatoGeneration wurde: „Quiet is the new loud“.
In der ausverkauften Laeiszhalle herrscht am Dienstagabend zu Beginn ebenfalls höfliche Zurückhaltung im Publikum, fast so, als hätte man Angst, die andächtige Stimmung zu stören. „Wir spielen nicht häufig in so einer Location“, sagte Erlend Øye und blickt ehrfürchtig in den neobarocken Saal, der 1908 eröffnet wurde. Mit „Comb My Hair“, „Rocky Trail“und „Cayman Islands“eröffnen sie einen denkwürdigen Abend, der einer beispiellosen Dramaturgie folgt, die einem Coming-of-AgeFilm ebenbürtig ist: Schüchternheit zu Beginn, lakonischer Humor, um die Verlegenheit zu überspielen, eine sichtliche Entspannung auf der Bühne – gefolgt von einem furiosen Finale zweier Antihelden.
Auf dem Weg dorthin erfährt man, dass Eirik Glambek Bøe einer Adelsfamilie der Insel Fehmarn entstammt („Wo unser Schloss stand, ist jetzt ein Parkplatz“), es in ihrer Heimatstadt Bergen „noch mehr regnet als in Hamburg“und ihre stark eingeschränkten Corona-Konzerte mit Tanzverbot im vergangenen Jahr „sich anfühlten, als hättest du Sex, während deine Eltern im Zimmer stehen“.
Bei „I’d Rather Dance With You“schwingt sich Erlend Øye zum entfesselten Vortänzer und Entertainer auf, der auch die knapp 2000 Zuschauer von den Sitzen reißt. Spätestens an diesem Punkt muss das einstige Motto auf frenetische Weise umformuliert werden: In der Laeiszhalle ist Laut das neue Leise.