Die Ein-Euro-Prügelei
GERICHT Überraschende Wende im Fall einer Kiosk-Schlägerei
Führte ein Euro zu einer brutalen Schlägerei? Haben die zwei Angeklagten einen Kiosk-Kassierer deswegen beleidigt, ihn zusammengeschlagen, mit dem Tod bedroht und versucht, ihn auszurauben? So lautet zumindest der Vorwurf gegen die jungen Männer. Vor Gericht zeigt sich: Der Vorfall lief anders ab als vom Opfer geschildert.
Joscha L. (25) und Wahid D. (24) scheinen zwei völlig enthemmte Prügelknaben zu sein. Den Eindruck vermittelt zumindest die Anklage, laut der den beiden gemeinschaftliche Körperverletzung vorgeworfen wird – Wahid D. zudem noch versuchter Raub und Beleidigung.
Die beiden jungen Männer sollen am 11. Februar vergangenen Jahres den Kiosk-Kassierer Yusuf D. (29) angegriffen, gegen einen Kühlschrank geknallt, auf Bierdosen fixiert und mit Faustschlägen traktiert haben. Dabei soll Joscha L. seinem Kumpel „Bring ihn um“zugerufen haben, während Wahid D. angeblich versuchte, an das Geld in der Kasse zu gelangen.
Die Verteidiger widersprechen der Darstellung. Für Joscha L. wird sogar Freispruch gefordert. Videoaufzeichnungen aus dem Kiosk geben ihnen recht. Sie zeigen eine andere Situation: Während Joscha L. bereits Richtung Ausgang geht, beginnt eine Diskussion zwischen Wahid D. und Yusuf D. – die mit einer Geste des Kassierers endet. Wahid stürmt hinter die Kasse, packt den Kassierer, drückt ihn gegen den Kühlschrank – der Kassierer schlägt zu. Die Prügelei beginnt. Joscha L. versucht, die beiden zu trennen.
Den Richter interessiert das Gespräch vor der Eskalation. Wahid D. lässt sich ein und erzählt: Es sei bereits das vierte Mal, dass der Kassierer zu wenig Wechselgeld rausgegeben habe. In diesem Fall war es ein Euro. Deshalb habe er zu ihm gesagt, vielleicht habe er den falschen Job – oder er mache das extra.
Darauf folgte laut Wahid D. ein „Halt die Fresse!“Wortwechsel auf Arabisch. Dann der entscheidende Satz des Kassierers: „Wenn du ein Mann bist, wartest du später vor der Tür auf mich und ich zerreiße dich.“Dazu die Geste, die im Video zu sehen ist. Zeuge Mohammed S. (22), Typ gutmütiger Bär, bestätigt die Version der Angeklagten und teilt ihre Sicht der Dinge: „Für Steilshoop war die Schlägerei gar nichts. In das Viertel muss eine Polizeiwache, sag ich immer. Was ich hier schon gesehen habe – mamma mia!“Kassierer Yusuf D. wird von der Polizei zum Gericht gebracht. Hier kennt man ihn bislang nur aus den Videos: Wie er auf Wahid D. einprügelt – selbst als der zurückweicht und eine „Schluss jetzt!“-Geste macht. Als er im Saal steht, wirkt er wie ein anderer Mensch: schüchtern und verunsichert. Yusuf D. nutzt sein Recht, nicht aussagen zu müssen.
Das Urteil: Freispruch für
Joscha L. – bei Wahid D. wird hin und her überlegt. Er zeigt sich schuldbewusst und berichtet, er habe den kaputten Kühlschrank bereits freiwillig ersetzt. Weil er den KioskBesitzer seit Kindertagen kenne.
Wahid ist gerade arbeitslos, hat sich jedoch bei der Bundeswehr beworben. Als Zeitsoldat. „Vielleicht ist das ja Strafe genug“, witzelt der Richter. Am Ende ist klar: Wahid D. muss 50 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten, dann wird das Verfahren gegen ihn eingestellt. Der Bescheid komme per Post, sagt der Richter. „Bei Ihnen kommt Post an, oder? In Steilshoop weiß man nie.“