Hamburger Morgenpost

„Das Kind in mir Ist noch quickleben­dig!“

INTERVIEW Iggy Pop (75) über seinen Influencer-Kakadu Biggy Pop, sein Album „Free“, die Deutsche Bahn und Berlin

- Das Interview führte KATJA SCHWEMMERS

Draußen scheint die Sonne bei 22 Grad, Iggy Pop (75) sitzt trotzdem mit schwerem Sakko und Wollschal in seiner Pariser Nobelhotel-Suite. Sein Gegenüber hat eine neunstündi­ge Zug-Irrfahrt hinter sich. Beste Voraussetz­ungen für ein MOPOP-Gespräch über die Deutsche Bahn, den Strand von Miami, seinen Influencer-Kakadu und sein aktuelles Album „Free“, für das der „Godfather of Punk“mitunter Gedichte von Lou Reed und Dylan Thomas zitiert. Vielleicht ja auch am Montag bei seinem Stadtpark-Konzert?

MOPOP: Wie geht’s Ihrem Kakadu Biggy Pop, der die Internetge­meinde begeistert?

Iggy Pop: Wunderbar. Er ist ein liebenswer­ter, guter Vogel. Wenn mich nachts schlimme Gedanken plagen, fängt Biggy Pop an zu quietschen. Er bringt mich dazu, ständig an schönes Zeug zu denken. Wenn meine Frau und ich über Politik und das Weltgesche­hen reden, legt er mit lautem Gebrabbel los. Er versteht zwar nicht den Inhalt einer Unterhaltu­ng, sehr wohl aber den emotionale­n Gehalt. Er will teilhaben, was auch immer du tust.

Deshalb tanzt er auf Instagram auch zu Ihren Songs.

Sobald ich ihm eine Platte mit einem guten Beat vorspiele, bewegt er sich. Und wenn es etwas ist mit einer Melodie in hoher Tonlage, singt er sogar dazu.

Auf Ihre aktuelle Platte „Free“hat er es dennoch nicht geschafft.

Ich will den Vogel nicht ausbeuten! Meine Frau kümmert sich um seinen InstagramA­ccount. Ich komme darin nur vor, weil sie mich filmt, wenn ich mit ihm spiele.

Ihr Sohn Eric Benson lebt in Berlin. Heißt das, Sie sind nun wieder öfter in der Hauptstadt?

Nein, ich sehe ihn nicht oft. Er hat sein eigenes Leben. Er ist verheirate­t mit einer Frau, die in der PR arbeitet. Aber ich traf Eric, als ich zuletzt in Berlin gespielt habe.

Wann waren Sie das letzte Mal in der Hauptstraß­e 155 in Berlin-Schöneberg vor der Wohnung, in der Sie in den 70ern mit David Bowie lebten?

Ich bin vor meinem letzten Konzert daran vorbeigefa­hren. Mir ist sofort aufgefalle­n, dass da nun eine Gedenktafe­l hängt. In unmittelba­rer Nähe ist der historisch­e Friedhof, auf dem die Gebrüder Grimm beerdigt sind. Ich bin da früher oft spazieren gegangen.

Der Park war damals ziemlich runtergeko­mmen, aber es war trotzdem schön. Da waren diese kleinen ovalen Grabsteine, wie man sie oft auf alten deutschen Friedhöfen findet. Nun habe ich gesehen, dass sie dort neue große Nobelteile installier­t haben. Furchtbar! Ich mag nichts Neues, ich bin old school.

Aber Sie werden jetzt nicht nostalgisc­h, oder?

Nein, überhaupt nicht. Ich hatte einfach das Glück, zu einer Zeit in Berlin zu sein, als in der Stadt ein enormes Gefühl von Offenheit herrschte und der schwebende Glaube, ohne zu viele gesellscha­ftliche Normen zu leben. Da waren Wehrdienst­verweigere­r und die muffeligen Studenten, die sich erfolgreic­h vor der Arbeit drückten. Die Mieten waren günstig, Parkplatz-Not gab es nicht und der öffentlich­e Nahverkehr war gut. Der hat mich dann auch zu „The Passenger“inspiriert.

2018 haben Sie mit dem Klassiker Werbung gemacht für die Deutsche Bahn.

Ja, und nachdem das im Kasten war, sagten mir viele deutsche Freunde: „Wie kannst du nur? Wir hassen die Deutsche Bahn! Die sind immer zu spät, streichen Züge.“Als ich dort lebte, waren sie brillant. Große wunderschö­ne Waggons. Ich

muss da was verpasst haben.

Aber überreden musste Sie niemand dazu?

Es gibt immer eine Zeit des Abwägens. Wir verhandelt­en eine Weile. Ich fand, es war eine nette Idee und eine gute Einbindung des Songs. Und mir gefiel der Gedanke, dass er sich auf die Art weiterverb­reiten würde. Meine Rolle in dem Spot war nicht zu schwer. Ich war nur überrascht, dass niemand die Deutsche Bahn zu mögen schien. Denn ich dachte immer, sie sei der Stolz der Deutschen.

Wenn Sie in Europa unterwegs sind, vermissen Sie es dann, in Miami zu sein?

Sehr! Ich kann mich an diese Temperatur­en hier einfach nicht gewöhnen. Und an die dicken Klamotten auch nicht. Die haben zwei Nachteile: Du musst sie mit dir rumtragen. Und du musst sie waschen. Lästig!

Welche Luxusgüter leisten Sie sich? Einen Rolls-Royce, ein Haus am Strand, ein Kunsthaus, eine Familienvi­lla mit Zaun drum rum und guten Wein. Viel mehr brauche ich nicht.

Ich bin mir sicher, Pink Floyd haben es mehr krachen lassen. Oder die Toten Hosen.

Auf dem Albumcover von „Free“sieht man Sie im Meer baden. Repräsenti­ert das Bild die ultimative Freiheit für Sie?

Das ist ein sehr typischer Moment für mich. Wenn ich nicht gerade als Iggy Pop unterwegs bin, gehe ich frühmorgen­s nackt im Ozean schwimmen. In diesem Fall ist es ein Standbild aus einem französisc­hen Kurzfilm, den ich fürs Fernsehen drehte. Sie begleitete­n mich zum Miami Beach. Was man auf dem Bild nicht sieht, sind die Polizisten, die vor Ort waren, um die Öffentlich­keit vor mir zu beschützen.

Waren Sie immer schon ein Freigeist?

c e fa h / n c

P u ia e d

M o : t

F o t o a c c s a

B u r y a r

/ L c e fa

Dieser Form von Freiheit, die ich jetzt vom Leben bekomme, gingen viele Kämpfe voraus. Ich erhielt für meine Art zu leben nicht viel Unterstütz­ung. Ich musste sie mir ohne irgendwelc­he Sicherheit­en über einen langen Zeitraum erarbeiten. Ich fühlte, dass ich mehr Freiheit brauchte als andere Menschen. Aber die Dinge scheinen besser für mich zu laufen im 21. Jahrhunder­t. Meine Karriere läuft schon eine ganze Weile ziemlich gut, und ich genieße dadurch ein gutes Maß an Freiheit. Was ich mir leider trotzdem nicht erlauben kann: nackt über die Champs-Élysées zu laufen.

Was bedeutet für Sie, in Würde zu altern?

Wenn du einen bestimmten Punkt im Leben erreicht hast, musst du wie deine eigenen Eltern sein. Du musst dich leiten und beschützen, aber du darfst das Kind in dir nicht töten. Wenn das Kind in dir stirbt, bist du wahrschein­lich tot besser dran. Aber meins ist noch quickleben­dig!

Erinnern Sie sich an den Moment, als Sie das Stagedivin­g erfunden haben?

Das muss 1968 gewesen sein. Es war im Grande Ballroom in Detroit – ich eröffnete für Mothers of Invention. Die Mädchen legten sich auf den Bühnenrand und starrten

mich beim Singen an. Und ich dachte, es wäre doch ziemlich cool, wenn ich in Tauchpose auf ihnen landen würde. Dumm nur: Sie bewegten sich weg, als ich es tat. Ich habe mir bei der Nummer den Frontzahn ausgeschla­gen. Da war jede Menge Blut. Aber als ich jung war, versuchte ich alles, um Aufmerksam­keit zu bekommen.

Wundern Sie sich manchmal, dass Sie neben den Rolling Stones zu den letzten Überlebend­en im Rockgeschä­ft gehören?

Ich habe sicherlich mehr weggesteck­t als die meisten anderen. Mein Arzt sagt, dass ich eine sehr starke Konstituti­on habe. Ich liebe meinen Körper und versuche auf ihn zu achten. Ich hab schon 1969 mit Qigong angefangen.

Was wäre bloß aus Ihnen geworden, wenn Sie nicht Musiker geworden wären?

Vermutlich ein Psycho. Oder einer dieser verdrehten Politiker. Dann wäre ich wohl gerade auf dem Zenit angekommen.

 ?? ?? So kennt man Iggy Pop live, immer in wilder Action. Sein Stadtpark-Konzert wird am Montag allerdings bestuhlt sein.
So kennt man Iggy Pop live, immer in wilder Action. Sein Stadtpark-Konzert wird am Montag allerdings bestuhlt sein.
 ?? ?? Iggy Pop ist der „Godfather of Punk“, sein aktuelles Album „Free“ist ruhig und jazzig.
Iggy Pop ist der „Godfather of Punk“, sein aktuelles Album „Free“ist ruhig und jazzig.
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Iggy Pop und David Bowie (r.) teilten sich in den 70ern eine WG in Berlin.

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