Auto, Rad, HVV: Wie fährt Hamburg in die Zukunft?
VERKEHR Expert:innen diskutieren über den richtigen Weg und das richtige Tempo für den nötigen Umbau
Die Mobilitätswende hat in Hamburg einen Streit um den Straßenraum entfacht. Welches Verkehrsmittel darf wie viel Platz in einer modernen Stadt einnehmen? Darüber diskutierten Hamburgs „Fridays for Future“-Sprecherin Annika Rittmann, Hamburgs
Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne), ADAC-Hansa-Verkehrsexperte Carsten Willms und Architekt Lars Zimmermann von „Cities For Future“am Donnerstagabend im ersten MOPO Lounge Talk in der Gaußstraße in Ottensen.
Wird dem Auto in Hamburg immer noch zu viel Platz gegeben? Annika Rittmann:
In den vergangenen zwei Jahren, seit Sie, Herr Tjarks, Verkehrssenator sind, ist zu wenig passiert. Das liegt an der Angst, den Autos Platz wegzunehmen. Dabei lässt sich die Klimakrise nicht verhindern, indem wir darauf warten, dass die Leute nach und nach überzeugt werden, sondern indem wir handeln. „Ottensen macht Platz“und der autofreie Jungfernstieg sind positive Beispiele.
Anjes Tjarks
Wir wollen weniger private Pkw in der Stadt, denn das Auto ist das ineffizienteste Verkehrsmittel in Hamburg. Seit Corona ist der Autoverkehr in der Stadt um 20 Prozent rückläufig, das hilft auch dem CO₂-Ausstoß. Die Lösung dafür liegt im
Ausbau und in der Förderung des öffentlichen Nahverkehrs. Hamburgs Autofahrer sind keine Randgruppe, das Auto ist nach wie vor das dominierende Verkehrsmittel. Viele Leute stellen sich immer noch lieber in den Stau, als sich in die übervolle S3 zu quetschen. Deshalb ist ein Fokus auf den ÖPNV richtig. Viele unserer Mitglieder beklagen in Ham
Carsten Willms
burg das Thema Anwohnerparken und das BaustellenManagement. Lars Zimmermann Autos verbrauchen Platz und sind nicht die logische Art und Weise, um in der Stadt von A nach B zu kommen. Deshalb muss Autofahren unattraktiv werden, zum Beispiel mit Parkzonen. Dafür muss der Fuß- und Radverkehr mehr gefördert werden. Eine Stadt kann unglaublich geil sein, wenn man sie auf dem Fahrrad entdeckt.
Wie muss es mit dem ÖPNV weitergehen? Annika Rittmann
Der ÖPNV muss deutlich ausgebaut werden – die Großprojekte S4 und U5 reichen lange nicht aus. Es macht Sinn, daneben eine Stadtbahn zu etablieren und das Busnetz zu erweitern.
Viele Randbezirke sind immer noch nicht ausreichend angebunden. Wir müssen jetzt die Leute in den ÖPNV bekommen – dafür muss dieser aber auch bezahlbarer werden.
Anjes Tjarks
Der ÖPNV wird eine Hauptlast bei der Klimakrise tragen müssen. Besonders die S4 und U5 werden helfen, lange Strecken auf die Schiene zu bekommen. Nachdem die Stadtbahn abgebaut wurde, haben wir in Hamburg nichts mehr hinbekommen. Deshalb wollen wir der Eisenbahn zu einer neuen Blüte verhelfen und in den nächsten Jahren mindestens 36 neue Bahnhöfe bauen.
Carsten Willms
Damit Leute das Auto stehen lassen und in den ÖPNV umsteigen, muss das Angebot stimmen und im Moment stimmt das Angebot überhaupt nicht. Aus meiner Sicht sollte weniger Geld ausgegeben werden, um die Ticketpreise zu senken, sondern um die Infrastruktur auszubauen. Im Gegensatz zu Straßensanierungen und Straßenbau sind ÖPNV-Projekte auch vergleichsweise günstig.
Lars Zimmermann
Der ÖPNV ist das Rückgrat eines gut funktionierenden Verkehrs in einer Großstadt. Das gilt ganz besonders für die am Rand liegenden Bezirke, weil die Strecken dort oft einfach zu lang sind.
Wie wird Hamburgs Mobilität in zehn Jahren aussehen? Annika Rittmann
Ich bin pessimistisch. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir in zehn Jahren da sein werden, wo wir sein müssten. Wir werden nach wie vor am Auto hängen, deshalb muss ein Cut passieren. Der Verkehr muss auf dem ÖPNV und dem Fahrrad beruhen und Autos am besten nur noch in Form von CarSharing und E-Autos existieren.
Anjes Tjarks
Die S4 wird in zehn Jahren alle zehn Minuten nach Rahlstedt, die U4 zur Horner
Geest und über die Elbe fahren. Das Fahrrad wird in der Innenstadt eine ganz andere Präsenz haben, denn zu diesem Zeitpunkt sollten um die 800 Kilometer neue Radwege gebaut sein. Außerdem werden autonome Fahrzeuge in den Randbezirken rund um die Uhr den Weg von der Haltestelle nach Hause abdecken.
Carsten Willms
Auch in zehn Jahren wird das Auto noch das dominierende Verkehrsmittel in Hamburg sein. Gleichzeitig sollte der ÖPNV so ausgebaut sein, dass er eine gute Alternative dazu sein kann.
Lars Zimmermann
Ich denke, dass Hamburg immer mehr Kopenhagen und Amsterdam ähneln wird. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg, allerdings noch viel zu langsam. Da schaue ich schon sehr neidisch auf Paris, die wirklich schnell handeln und Maßnahmen umsetzen – zum Beispiel flächendeckendes Tempo 30. Aufgezeichnet von ANNALENA BARNICKEL