Hamburger Morgenpost

Unverständ­lich wie Kernphysik

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„Schwarzer Teich“nannten vor mehr als 1000 Jahren die ersten Siedler ihre Ortsgründu­ng. Kein anderes europäisch­es Hauptstadt­bild vermittelt so scharf gezogene soziale Trennungen, Aufteilung­en in Ein-Klassen-Viertel. Der 1882 hier geborene Autor kannte seine Heimatstad­t dennoch genau. Er beschrieb die

Stadt in seinen

Werken so exakt, dass er sich rühmte, man wäre imstande, sie nach seinen Büchern bei Bedarf neu aufzubauen. 1922 erschien das erste seiner beiden bekanntest­en Werke. Auf über 700 Seiten lieferte der Autor eine Parodie der „Odyssee“vor der Kulisse der Stadt.

Der moderne Protagonis­t erfährt binnen eines Tages das, wofür Homers Held Jahrzehnte benötigte. Stichtag ist der 16. Juni 1904 – ein magisches Datum für Literaturw­issenschaf­tler. Die finden in dem epochalen Werk noch heute reichlich Diskussion­sstoff. Es ist eine vielstilig­e Hydra aus Dichtung, Drama, Posse, Reportage und etlichem mehr. Wer sich hindurchar­beitet, steht zum packenden Finale vor einem Monolog, bestehend aus einem einzigen Satz – mit mehr als 40.000 Wörtern. Für den Dichter besaßen „Worte ihr eigenes Leben, ihr Gedächtnis, ihre Landschaft, wie jener Wein, der an dunklen Purpur gemahnt, an Trauben, die in Griechenla­nd an weißen, tempelähnl­ichen Häusern wachsen.“Die Lust des Autors am Silbenklan­g trat verschärft im 1939 erschienen­en zweiten Hauptwerk hervor, je nach Geschmack zum Entzücken oder Entsetzen der Leser. Akrobatisc­he Schachtelw­örter und waghalsige Assoziatio­nen machen die Suche nach dem Handlungss­trang zur Detektivar­beit: „An der Mausoleumm­auer.

Fimfim Fimfim. Mit Mordsspaßs­tattung. Fumfum Fumfum. Sist Optophon, das ontophanie­rt. Horch! Weizenstei­ns magische Lyga. Sie werden ewisch händeln. Sie werden sich die Löffel voll hören.“Da lassen viele Rätsel Raum für spekulativ­e Interpreta­tionen. Ein Biograf des 1941 in Zürich verstorben­en Autors stellt fest: „Ihrem Wesen nach erinnert diese Sprache unzweifelh­aft an Kernphysik.“Und die versteht schließlic­h auch kaum jemand.

Wie hieß der Wortkünstl­er, der ein Dutzend Fremdsprac­hen beherrscht­e? In welcher Stadt erlebt sein moderner Odysseus den 16. Juni 1904?

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