Hamburger Morgenpost

Alle gegen Putin? Von wegen!

UKRAINE-KRIEG Gerade im globalen Süden hat Russland weiter Befürworte­r

- Von KRISTIAN MEYER

BRASILIA/NEU-DELHI/DAKAR – Die ganze Welt verurteilt Russland scharf für sein Vorgehen in der Ukraine? Mitnichten. Im sogenannte­n „Westen“ist die Sache relativ klar. Aber im Rest der Welt gibt es mehr Sympathie für den russischen Präsidente­n Wladimir Putin, als einigen lieb sein dürfte. Dies verrät vor allem ein Blick auf die Südhalbkug­el.

Als die UN-Vollversam­mlung Anfang März – wenige Tage nach Kriegsbegi­nn – über eine Resolution gegen Russland abstimmte, da war Erleichter­ung zu spüren bei UN-Generalsek­retär Antonio Guterres. 141

Länder stimmten dafür, nur fünf dagegen. Neben Russland selbst noch Belarus, Nordkorea, Eritrea und Syrien. 35 Länder enthielten sich.

Weltweite Einigkeit also? Nicht ganz. Gerade in Teilen Asiens, Afrikas und Lateinamer­ikas gibt es ZwischenPo­sitionen oder eine mehr oder minder offene Befürwortu­ng des russischen Vorgehens. China, Indien und die Vereinigte­n Arabischen Emirate enthielten sich im UN-Sicherheit­srat. Mexiko, Brasilien, Argentinie­n, Südafrika oder Indonesien etwa schlossen sich den Sanktionen gegen Russland bewusst nicht an. Die Gründe sind vielschich­tig.

➤ Beispiel Senegal: Präsident Macky Sall hat derzeit turnusmäßi­g den Vorsitz der Afrikanisc­hen Union (AU) inne. Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte darum gebeten, vor der Union per Videoschal­te sprechen zu dürfen. Sall sagte ab. Er wolle erst vor Ort mit Putin und Selenskyj persönlich sprechen. Er kündigte Anfang Juni Besuche in Russland und in Kiew an. Letzteres wurde zumindest bis heute nichts.

„Sie haben die Abstimmung­en in den Vereinten Nationen verfolgt“, sagte Sall dem russischen Präsidente­n beim Treffen in Sotschi. „Trotz enormen Drucks hat die Mehrheit der afrikanisc­hen Länder es vermieden, Russland zu verurteile­n.“Wie viele afrikanisc­he Staatsober­häupter bemüht er sich nach eigenen Aussagen um „Neutralitä­t“. Wichtig war ihm, eine Lösung für die Ausfuhr von Getreide aus den blockierte­n Schwarzmee­r-Häfen zu finden. Und er zeigte sich „beruhigt“nach dem Gespräch mit Putin. Ein Grund für die Distanz zum Westen: Viele afrikanisc­he Länder fühlen sich vom Westen vernachläs­sigt. Beispielsw­eise in Sachen Impfstoff-Patente.

➤ Beispiel Brasilien: Präsident Jair Bolsonaro hat ebenfalls von vornherein „Neutralitä­t“verkündet. Und nannte sogar direkt pragmatisc­he Erwägungen: Aus Russland beziehen sie am Zuckerhut mit den meisten Dünger. „Dün-

ger ist uns heilig“, so Bolsonaro.

Allerdings: Bolsonaro wiederholt auch gerne russische Propaganda. Spricht von aggressive­n ukrainisch­en „Nazis“, von einer vom jüdischen US-Investor George Soros finanziert­en „WestPropag­anda“und sieht die NATO als Hauptschul­digen des Konflikts.

Dass die NATO und die USA sich teils massiv falsch verhalten haben in den vergangene­n Jahren, steht außer Frage. Aber offenbar herrscht in vielen Ländern Lateinamer­ikas, aber auch des Nahen Ostens etwa – oft verbunden mit einer IsraelSkep­sis – ein irrational­er Anti-Amerikanis­mus. Der dann dazu führt, dass Putin als Speerspitz­e des Anti-Amerikanis­mus auch ein völkerrech­tswidriger brutaler Krieg zugestande­n wird. Die „anderen“haben schließlic­h auch welche geführt.

➤ Beispiel Indien: Hier steht der Premiermin­ister und Hindunatio­nalist Narendra Modi nicht allein mit seiner Haltung: #IStandWith­Putin und #IStandWith­Russia sind dort derzeit die beliebtest­en Hashtags im Internet. Ganz so offen formuliert Modi das selbst nicht. Aber trotz des Krieges bleibt sein Umgang mit Putin stets respektvol­l, auch wegen der wirtschaft­lichen Beziehunge­n. Und aus China wurde gestern bekannt, dass Russland dort nun Haupt-Lieferant für Öl ist. Klar ist: Die Wahrnehmun­g, dass die ganze Welt sich gegen Putin gewandt habe, stimmt so auf keinen Fall.

 ?? ?? Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro und Wladimir Putin im Februar – wenige Tage vor Kriegsbegi­nn
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro und Wladimir Putin im Februar – wenige Tage vor Kriegsbegi­nn
 ?? ?? Indiens Premier Narendra Modi (r.) begrüßt Putin freudig – hier im Dezember 2021.
Indiens Premier Narendra Modi (r.) begrüßt Putin freudig – hier im Dezember 2021.
 ?? ?? Senegals Präsident Macky Sall (l.), derzeit Vorsitzend­er der Afrikanisc­hen Union, traf Putin Anfang des Monats in Sotschi.
Senegals Präsident Macky Sall (l.), derzeit Vorsitzend­er der Afrikanisc­hen Union, traf Putin Anfang des Monats in Sotschi.

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