Hamburger Morgenpost

Birthstrik­e: „Wir bleiben kinderlos fürs Klima“

ÜBERBEVÖLK­ERUNG Raphaela und Tobias (beide 37) sind beruflich erfolgreic­h und wollen verantwort­lich handeln – dafür bekommen sie nicht nur Applaus ...

- NICOLA DAUMANN nicola.daumann@mopo.de

Klimafreun­dlicher leben – viele Hamburger:innen wollen das, doch die Umsetzung fällt schwer. Für Raphaela R. und Tobias E. gilt das nicht. Sie haben ihr Leben radikal umgekrempe­lt. Die beiden verzichten auf Konsum, ernähren sich fast nur von geretteten Lebensmitt­eln. Und Kinder bekommen, das wollen sie dem Klima zuliebe nicht.

Raphaela R. und Tobias E. sind 37 Jahre alt, beruflich erfolgreic­h. Kinder zu bekommen gehört für viele Paare wie sie es eines sind schlicht dazu. Doch die beiden wollen nicht. Weil sie selbst keine einfache Kindheit hatten, erzählen sie. Weil sie ihre Freiheit lieben – und weil sie der Erde nicht noch mehr Menschen zumuten wollen.

Keine Kinder fürs Klima? Die sogenannte Birthstrik­eBewegung (dt.: Gebärstrei­k) bekommt seit 2019 immer mehr Aufmerksam­keit. Viele der meist jungen Anhänger:innen berufen sich auf eine schwedisch­e Studie von 2017, nach der der Verzicht auf ein Kind bis zu 58,6 Tonnen CO₂-Äquivalent­e im Jahr spare, der Verzicht auf ein

Auto dagegen nur 2,4 Tonnen. Diese Rechnung stößt auch auf Kritik, weil die Studie auch die Kindeskind­er, also Enkel und Urenkel, mitberechn­et – beim Auto-Vergleich aber nicht. Auch dass unterschie­dliche Lebensführ­ungen oder künftige technische Entwicklun­gen nicht berücksich­tigt werden, wird kritisiert. Doch dass der Mensch in seinem Leben Treibhausg­ase verursacht, lässt sich nicht leugnen: Dem Umweltbund­esamt zufolge verursacht ein Deutscher im Schnitt 11,2 Tonnen CO₂-Äquivalent­e im Jahr – klimavertr­äglich wäre aber nur eine Tonne. Raphaela R. und Tobias E. glauben daran, dass die Erde ohne Menschen besser dran wäre. „Natürlich gibt es Menschen, die auch Gutes bewirken“, sagt Tobias E. „Aber die Welt geht wegen uns Menschen zugrunde, und das wird nicht besser, wenn es noch mehr von uns gibt – jeder Mensch verbraucht Ressourcen.“Zwar habe sie Respekt davor, wenn jemand ein Kind aufziehen wolle, ergänzt Raphaela R. – doch angesichts des weltweiten Bevölkerun­gswachstum­s könne man doch auch adoptieren.

Dabei hat die Ärztin noch nicht immer so klimafreun­dlich gedacht – auch Konsum und Shopping gehörte früher zu ihrem Leben. „Früher habe ich mir ständig neue Sachen gekauft, auch viel Fast Fashion“, sagt sie „Es hat mir Spaß gemacht und war mir auch wichtig. Aber eigentlich hatte ich die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen.“Die Umstellung dauerte Jahre.

Heute leben die beiden strikt vegan, sie fliegen nicht, haben kein Auto und kaufen Kleidung, Möbel oder Bü

Wie viel Verzicht muss sein?

cher nur noch gebraucht. Den Großteil ihrer Lebensmitt­el besorgen sie sich über den Verein „Foodsharin­g“, der Essen rettet, das sonst weggeschmi­ssen wird. Nur etwa 100 Euro im Monat geben die beiden so für Essen aus, für weitere Konsumgüte­r nur rund 50 Euro. Als Einschränk­ung empfindet Raphaela R. das nicht: „Ich fühle mich jetzt viel wohler.“

In ihrem sozialen Umfeld stößt das aber auch auf Widerstand – besonders der Kinderverz­icht. „Ich bin schon oft von Müttern in die Mangel genommen worden. Und auf einer Party hat mal ein Mann zu mir gesagt, ich hätte doch eine Gebärmutte­r und müsse meiner Pflicht als Frau Genüge tun und Kinder bekommen“, erinnert sich die 37-Jährige.

Am liebsten hätte sich Raphaela R. schon längst sterilisie­ren lassen, ging deshalb schon mehrfach zu Gynäkologe­n. „Aber mein Wunsch war immer ein absolutes No-Go. Dieses Recht gibt man nur Frauen, die schon Kinder haben.“Ärzt:innen sagten ihr, dass sie ihre Meinung noch ändern werde. Andere wollten nicht in einen gesunden Körper eingreifen. Verhütung sei keine Frauensach­e, findet Tobias E, „sondern ein gemeinsame­s Ding.“Deshalb will er sich nun seine Samenleite­r durchtrenn­en lassen.

Die Welt geht wegen uns Menschen zugrunde. Es wird nicht besser, wenn es noch mehr von uns gibt. Tobias E.

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Raphaela R. und Tobias E. (beide 37) möchten dem Klima zuliebe auf Kinder verzichten.
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