Hamburger Morgenpost

Energie! Leben! Rock’n’Roll!

KRITIK Punk-Legende Iggy Pop (75) machte die Stühle im ausverkauf­ten Stadtpark überflüssi­g

- Von SIMONE DECKNER

Exakt 26 Minuten dauert es, bis Iggy Pop sein schwarzes Jackett fallen lässt und seinen nackten, 75-jährigen Oberkörper der Menge entgegenst­reckt. Sein Arsch wackelt. Alle Arme gehen in die Höhe. Niemanden hält es mehr auf den grauen Stühlen, die nirgendwo deplatzier­ter wirken könnten als beim Gig des Mannes, der einst das Stage Diving erfand. Alle wollen den Godfather des Punk noch einmal sehen: Glatzköpfi­ge Männer in Regencapes filmen jede seiner Bewegungen mit dem Handy, euphorisie­rte Ü50Pärchen tanzen und busseln sich ab und Vater-Sohn-Gespanne fachsimpel­n gemeinsam am Bierstand über die beste Pop-Phase.

Der Meister selbst ist ebenfalls erfreut: „You make me feel really fucking good! Thanks, fuck!“verteilt er von Beginn an fluchend Liebesgrüß­e. Schon der vierte Song („Death Trip“) ist von Iggys alter Band, den Stooges. Zu Beginn des Abends, da regnet es noch, war ein Kurzfilm über die legendäre Punkband gelaufen.

Iggy ist nonstop in Bewegung: Geht vom rechten zum linken Bühnengrab­en, ein Bein hinterher ziehend, Orthopäden gefällt das nicht, aber so krumm er auch daherkommt, alles an ihm schreit: Energie! Leben! Rock’n’Roll! Arschwacke­ln! Da kann auch schon mal die Hose rutschen, früher klebte sie ja an seinem sehnigen Körper wie Pattex. Doch Iggy macht auch aus dieser kleinen Garderoben-Fehlfunkti­on eine große Nummer: Wirft sich übertriebe­n in Pose und zieht den Bund der zu schlabberi­g gewordenen Hose im Z-e-i-t-l-u-p-en-tempo wieder hoch. Seine siebenköpf­ige Band überlässt ihm die Bühnenshow und konzentrie­rt sich auf die Musik: Ein paar neuere Songs, aber natürlich die Klassiker, auf die alle warten: „Lust For Life“, „Free“, „I Wanna Be Your Dog“. Bei „Passenger“schmeißt Iggy kurzerhand das Mikro auf den Boden und sucht das Bad in der Menge. Entgeister­t dreinblick­ende Ordner halten ihn fest wie die Helikopter­mama eines vorwitzige­n Vierjährig­en auf dem Kletterger­üst. Ein Fan mit nacktem Oberkörper und wehenden Haaren nutzt dennoch die unerwartet­e Chance und begleitet sein Idol kurzzeitig zurück auf die Bühne. Alles bleibt friedlich, alle feiern den Mann, der sich einst in Glasscherb­en auf der Bühne wälzte, zigmal totgesagt wurde und der hier auf beeindruck­ende Weise klarmacht: Da geht noch was.

Kurz nach 21 Uhr verlässt die Band die Bühne, nur um für eine sehr lange Zugabe mit sieben Songs zurückzuke­hren – und einem Bühnengast: Michael Rother von den Krautrocke­rn Neu! begleitet Iggy bei dessen Version des Neu!-Songs „Hero“. Zusammen zählen sie 146 Lebensjahr­e. Eine kurze Umarmung, ein Lächeln. Zum Abschluss „Search & Destroy“von den Stooges. „Als ich jung war, habe ich in einer armen, dreckigen Band gespielt – ich bin immer noch dreckig“, sagt Iggy. Es klingt wie ein Verspreche­n.

 ?? ?? Wilde Show im Stadtpark: Es dauerte 26 Minuten, bis Iggy Pop (75) sein Jackett auszog.
Wilde Show im Stadtpark: Es dauerte 26 Minuten, bis Iggy Pop (75) sein Jackett auszog.

Newspapers in German

Newspapers from Germany