Energie! Leben! Rock’n’Roll!
KRITIK Punk-Legende Iggy Pop (75) machte die Stühle im ausverkauften Stadtpark überflüssig
Exakt 26 Minuten dauert es, bis Iggy Pop sein schwarzes Jackett fallen lässt und seinen nackten, 75-jährigen Oberkörper der Menge entgegenstreckt. Sein Arsch wackelt. Alle Arme gehen in die Höhe. Niemanden hält es mehr auf den grauen Stühlen, die nirgendwo deplatzierter wirken könnten als beim Gig des Mannes, der einst das Stage Diving erfand. Alle wollen den Godfather des Punk noch einmal sehen: Glatzköpfige Männer in Regencapes filmen jede seiner Bewegungen mit dem Handy, euphorisierte Ü50Pärchen tanzen und busseln sich ab und Vater-Sohn-Gespanne fachsimpeln gemeinsam am Bierstand über die beste Pop-Phase.
Der Meister selbst ist ebenfalls erfreut: „You make me feel really fucking good! Thanks, fuck!“verteilt er von Beginn an fluchend Liebesgrüße. Schon der vierte Song („Death Trip“) ist von Iggys alter Band, den Stooges. Zu Beginn des Abends, da regnet es noch, war ein Kurzfilm über die legendäre Punkband gelaufen.
Iggy ist nonstop in Bewegung: Geht vom rechten zum linken Bühnengraben, ein Bein hinterher ziehend, Orthopäden gefällt das nicht, aber so krumm er auch daherkommt, alles an ihm schreit: Energie! Leben! Rock’n’Roll! Arschwackeln! Da kann auch schon mal die Hose rutschen, früher klebte sie ja an seinem sehnigen Körper wie Pattex. Doch Iggy macht auch aus dieser kleinen Garderoben-Fehlfunktion eine große Nummer: Wirft sich übertrieben in Pose und zieht den Bund der zu schlabberig gewordenen Hose im Z-e-i-t-l-u-p-en-tempo wieder hoch. Seine siebenköpfige Band überlässt ihm die Bühnenshow und konzentriert sich auf die Musik: Ein paar neuere Songs, aber natürlich die Klassiker, auf die alle warten: „Lust For Life“, „Free“, „I Wanna Be Your Dog“. Bei „Passenger“schmeißt Iggy kurzerhand das Mikro auf den Boden und sucht das Bad in der Menge. Entgeistert dreinblickende Ordner halten ihn fest wie die Helikoptermama eines vorwitzigen Vierjährigen auf dem Klettergerüst. Ein Fan mit nacktem Oberkörper und wehenden Haaren nutzt dennoch die unerwartete Chance und begleitet sein Idol kurzzeitig zurück auf die Bühne. Alles bleibt friedlich, alle feiern den Mann, der sich einst in Glasscherben auf der Bühne wälzte, zigmal totgesagt wurde und der hier auf beeindruckende Weise klarmacht: Da geht noch was.
Kurz nach 21 Uhr verlässt die Band die Bühne, nur um für eine sehr lange Zugabe mit sieben Songs zurückzukehren – und einem Bühnengast: Michael Rother von den Krautrockern Neu! begleitet Iggy bei dessen Version des Neu!-Songs „Hero“. Zusammen zählen sie 146 Lebensjahre. Eine kurze Umarmung, ein Lächeln. Zum Abschluss „Search & Destroy“von den Stooges. „Als ich jung war, habe ich in einer armen, dreckigen Band gespielt – ich bin immer noch dreckig“, sagt Iggy. Es klingt wie ein Versprechen.