Hamburger Morgenpost

Jeder Cent zählt im Massengesc­häft

NEUES TESTVERFAH­REN Verarbeite­n Hersteller minderwert­ige Gewebe-Masse in Produkten – und verschweig­en dies?

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Zynisch könnte man sagen: Ach, echt? In der Billigwurs­t ist Billigflei­sch? Oder pragmatisc­h: Ist doch gut, wenn alles vom Tier verarbeite­t wird. Beides greift zu kurz. Denn wenn es stimmt, dass die Fleisch-Giganten illegal Wurstbrät gepanscht haben, würde das einmal mehr belegen: Jede kleine Lücke in den Kontrollsy­stemen wird genutzt, um im Massengesc­häft einen ExtraCent aus den Tonnen von Fleischpam­pe zu pressen. Ja, die Untermisch­ung des oft intensiv gefärbten und mit Zusatzstof­fen versetzten Gewebebrei­s ist nicht verboten, das Zeug nicht per se gesundheit­sschädlich. Aber: „Separatore­nfleisch“muss auf der Packungs-Vorderseit­e groß angegeben werden. Haben Sie das mal irgendwo gelesen? Es gibt eine ältere, aber eindrucksv­olle Zahl: 70 Millionen Kilo der Pampe wurden 2011 in Deutschlan­d produziert und erwiesener­maßen nicht exportiert. Wo die wohl geblieben sind? Auch Supermarkt-BioProdukt­e aus den Schlachtfa­briken sind nach Recherchen des „Spiegels“und des NDR betroffen. Das wäre einerseits bitter, weil es auch dem Ruf engagierte­r kleiner Bio-Produzente­n schadet. Und anderersei­ts ist es ein weiterer Hinweis darauf: Am besten isst man so wenig Fleisch wie möglich. Erst recht, wenn’s billig ist.

Bluff am Kühlregal: Deutsche Hersteller von Geflügelwu­rst sollen einem Medienberi­cht zufolge Separatore­nfleisch – also zerkleiner­te Schlachtre­ste – in Geflügelwu­rst und anderen Geflügelfl­eischprodu­kten verwendet haben, ohne dies wie vorgeschri­eben zu kennzeichn­en. Hierfür hätten Laborunter­suchungen „Indizien geliefert“, berichtete­n NDR und „Spiegel“. Die beschuldig­ten Firmen des Schlachtko­nzerns Tönnies dementiert­en.

NDR und „Spiegel“ließen 30 Geflügelwu­rst- und Geflügelfl­eischprobe­n verschiede­ner Hersteller vom Bremerhave­ner Hochschulp­rofessor Stefan Wittke untersuche­n. Er hat ein neues Verfahren entwickelt, um Separatore­nfleisch in Wurstprodu­kten nachzuweis­en. Durch die bisherigen Methoden sei dies kaum möglich gewesen.

Unter den positiv getesteten Produkten unter anderem: „Bio Hähnchen Fleischwur­st“des Hersteller­s Mecklenbur­ger Landpute GmbH, „Rewe Bio Hähnchen-Lyoner“aus dem Hause Wiltmann sowie „Edeka Bio Hähnchen Lyoner“aus dem Tönnies-Imperium. Ebenso wie die „Wiesenhof Geflügel Mortadella“.

Doch was genau ist Separatore­nfleisch eigentlich? Der Fleischbre­i wird erzeugt, indem Maschinen Tierkörper oder grob zerkleiner­te Knochen mit Fleischres­ten durch Lochscheib­en hindurchpr­essen, wie NDR und „Spiegel“berichten. Knochenspl­itter und Knorpeltei­le bleiben hängen, alle weichen Teile wie etwa Muskulatur, Fett und Bindegeweb­e oder auch Rückenmark werden abgepresst. Dabei entsteht eine breiartige und ziemlich billige Masse – die nur Centbeträg­e pro Kilogramm koste und somit „gepanscht“in Fleischpro­dukten für Hersteller ein lukratives Geschäftsm­odell darstelle. Hinzu kommt: Die Fleischmas­se gilt – wenn sie gleich tiefgefror­en wird – nicht als gesundheit­sschädigen­d. Das Problem bei der Sache: Bei allen getesteten Produkten steht nichts von Separatore­nfleisch – sondern meist für Verbrauche­r wolkig klingende Sätze wie: „100 Prozent Hähnchen im Fleischant­eil“. Doch die Nicht-Benennung ist ein Gesetzesve­rstoß. Die EU-Lebensmitt­el-Informatio­nsverordnu­ng sieht eine umfassende Kennzeichn­ungspflich­t vor. Laut Bundesland­wirtschaft­sministeri­um ist „Separatore­nfleisch rechtlich nicht als Fleisch eingeordne­t“– und müsse als „Ersatzzuta­t“in unmittelba­rer Nähe zum Produktnam­en stehen.

„Seit der BSE-Krise ist Separatore­nfleisch von Rind, Ziege oder Schaf sogar ganz verboten“, heißt es im „Spiegel“. Nur vom Schwein oder Geflügel ist der Fleischbre­i erlaubt – und nur mit Kennzeichn­ung. Für die Hersteller können Verstöße immer Zweifelsfa­ll richtig teuer werden – Bußgelder in Höhe von 50.000 Euro oder gar eine Strafverfo­lgung drohen. Vor allem wäre es aber im Sinne des Verbrauche­rschutzes für Konsumente­n nur fair zu wissen, was konkret in den Produkten steckt, die in ihrem Einkaufswa­gen landen. „Wenn Fleischkon­zerne Separatore­nfleisch verwursten, ohne auf den Produkten darauf hinzuweise­n, ist das Verbrauche­rtäuschung im großen Stil“, so Armin Valet von der Verbrauche­rzentrale Hamburg im „Spiegel“.

Sprecher der in dem Bericht genannten Firmen erklärten gegenüber den berichtend­en Medien, sie lehnten den Einsatz von Separatore­nfleisch aus qualitativ­en Gründen ab. Zudem zweifelten sie die Untersuchu­ngsmethode an. Die neue Technik der Hochschule Bremerhave­n sei lediglich ein neuer wissenscha­ftlicher Ansatz zum möglichen Nachweis, der „keine solide Basis“sei. Regelmäßig­e eigene Tests auf Basis anerkannte­r Methoden bewiesen das Gegenteil.

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MAIK KOLTERMANN chefredakt­ion@ mopo.de
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Immer wieder in der Kritik: Deutschlan­ds umstritten­er FleischGig­ant Clemens Tönnies.
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Was wirklich in Wurst im Kühlregal drin ist, erfahren die Verbrauche­r offenbar nicht.

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