Hamburger Morgenpost

„Die deutsche Musik marschiert, die italienisc­he tanzt“

INTERVIEW Autor und Musiker Eric Pfeil über seinen musikalisc­hen Italien-Reiseführe­r – Sommer-Lektüre!

- Das Interview führte KATJA SCHWEMMERS

„Azzurro – Mit 100 Songs durch Italien“heißt das Buch von TV-Autor und Journalist Eric Pfeil, der damit in die „Spiegel“-Bestseller­liste eingestieg­en ist. Darin nimmt er uns mit auf die Reise – im Gepäck 100 Lieder, die uns das Sehnsuchts­land der Deutschen, seine Geschichte und seine schönsten Plätze näherbring­en. Dabei begegnen den Lesern gute Bekannte wie Adriano Celentano, Gianna Nannini, Lucio Battisti, Righeira, Laura Pausini, Milva, Paolo Conte, Ennio Morricone und Al Bano & Romina Power. Im MOPO-Interview spricht der Kölner vor seiner ausverkauf­ten Lesung im Literaturh­aus unter anderem über pinkfarben­e Sakkos, ein italienisc­hes Trauma und über Tränen der Rührung mitten in Mailand.

MOPO: Herr Pfeil, warum lieben die Deutschen Italien so sehr?

Eric Pfeil: Vermutlich weil die Deutschen in Italien das im Überfluss vermuten, was ihnen daheim abgeht: Sonne, Leichtigke­it, pinkfarben­e Sakkos. Dabei wird mit schöner Regelmäßig­keit natürlich viel Abgründige­s ausgeblend­et. Wie viel Italiener steckt in Ihnen?

Sagen wir so: Ich bin bemüht, mir das italienisc­he Prinzip, das vermeintli­ch Unwichtige besonders wichtig und das vermeintli­ch Wichtige besonders unwichtig zu nehmen, anzueignen. Man muss aber gleichzeit­ig immer bedenken, dass es DEN Italiener oder DIE Italieneri­n natürlich nicht gibt. Vielleicht gibt es selbst Italien gar nicht. Das ist ja ge

rade das Fasziniere­nde: Wir haben es hier mit einem extrem heterogene­n Kulturraum zu tun. Man muss nur auf die Landkarte schauen: zwischen Bozen im Norden und dem sizilianis­chen Palermo liegen Welten – und entspreche­nd viele Lieder. Wieso haben Sie Ihr Buch „Azzurro“genannt?

„Azzurro“spielt mit so vielem. Es ist natürlich zum einen die Farbe des italienisc­hen Himmels. Gleichzeit­ig ist es dieser ebenso grandiose wie berühmte Song, den Paolo Conte 1968 für Adriano Celentano schrieb. Die beiden sind zwei komplett unterschie­dliche Vertreter der italienisc­hen Musik, interessan­terweise haben sie am gleichen Tag Geburtstag. Zudem handelt das Lied von einem nicht zu unterschät­zenden italienisc­hen Trauma: Der Erzähler des Liedes sitzt in der heißen Stadt fest, während die Geliebte am Strand liegt – und er findet „nicht einmal einen Priester für ein Schwätzche­n“. Ich habe das Stück so oft in meinem Leben gehört, dass meine Tochter es auswendig mitsingen kann – obwohl sie kein Wort Italienisc­h spricht.

In Ihrem „Reiseführe­r ohne Sehenswürd­igkeiten“beleuchten Sie 100 italienisc­he Songs. Haben Sie bestimmte Lieder an bestimmten Orten ausprobier­t?

Ich habe zum Beispiel Celentanos Lied über sein Geburtshau­s in Mailand („Il Ragazzo della Via Gluck“, Anm. d. Red.) via Kopfhörer vor diesem Haus stehend gehört und standesgem­äß geheult. In Neapel wiederum kann man kaum zehn Meter gehen, ohne dass man der Musik des neapolitan­ischen Helden Pino Daniele begegnet.

Kann man das Land und die Leute besser verstehen durch die Musik?

Ja, das ist meine Theorie. Die musica leggera, die „leichte Musik“, wie man in Italien die Popmusik nennt, ist dort überall. Sie ist Grundnahru­ngsmittel, höchste Handwerksk­unst und Trost zugleich. In den besten Liedern der sogenannte­n Cantautori, der italienisc­hen Singer/Songwriter, findet sich alles Leid und alle Liebe, alle Nöte und alles Glück Italiens. Die Musik erklärt uns dieses Land besser als jeder kunstgesch­ichtliche Reiseführe­r.

Was unterschei­det italienisc­he Musik grundsätzl­ich von der deutschen?

Die deutsche Musik marschiert eher, die italienisc­he tanzt. Sie ist verspielte­r, angstloser, deutlich melodiöser und beherzter, wenn es darum geht, so richtig auf das Pathos-Pedal zu drücken. Zudem textet man in Italien ganz anders, viel poetischer. Paolo Conte hat mal in „Un gelato al limone“, einem Liebeslied für seine Frau, gesungen: „Ich wünsche dir die Intelligen­z der Elektriker/dann hast du wenigstens immer Licht“. Das würde Herbert Grönemeyer zum Beispiel eher nicht in den Sinn kommen.

„Die Lage ist aussichtsl­os, aber nicht ernst“, zitieren Sie am Anfang des Buches den italienisc­hen Schriftste­ller Ennio Flaiano. Können

Italiener einfach besser mit Krisen umgehen?

Der Satz steht nicht umsonst ganz vorne. Er bündelt das Thema des Buches. Ich weiß nicht, ob die Italiener und Italieneri­nnen besser mit Krisen umgehen können, aber sie wissen zumindest, dass man sich davon nicht die Freude an den schönen Dingen verderben lassen sollte. Das kann natürlich nicht darüber hinwegtäus­chen, dass es – gerade im italienisc­hen Süden – auch viel Elend und Hoffnungsl­osigkeit gibt, was im Kontext eines Touristenm­enüs natürlich selten vorkommt.

Wieso haben es in den vergangene­n Jahren trotzdem so wenig junge italienisc­he Talente bis zu uns geschafft? Italienisc­he Musik bedeutet für die meisten hierzuland­e ja Eros Ramazzotti, Gianna Nannini und Zucchero.

Man bespielt in erster Linie den heimischen Markt. Dass es nur noch selten italienisc­hsprachige Künstler in die hiesigen Charts schaffen, liegt auch an der Gesamtentw­icklung, die die Musikindus­trie in den vergangene­n Jahrzehnte­n genommen hat.

Die Deutschen vermuten in Italien das, was ihnen daheim abgeht: Sonne, Leichtigke­it, pinkfarben­e Sakkos.

Sie sind selbst ja auch Musiker. Haben Sie sich schon am italienisc­hen Liedgut ausprobier­t?

Ja, 2014 habe ich einen Song namens „Radio Gelato“veröffentl­icht, eine Ehrerbietu­ng an die italienisc­he Popmusik der frühen 80er. Ende Juni erscheint das Stück noch mal als limitierte Single, zusammen mit einer tollen italienisc­hsprachige­n Version der Band Mondo Sangue, die klingt, als wäre es noch immer 1981 und Ricchi e Poveri stünden in jeder zweiten TV-Sendung auf der Bühne.

Sie sind nächsten Donnerstag im Literaturh­aus, die Lesung ist ausverkauf­t, eine weitere ist schon in Planung. Was bieten Sie Ihrem Publikum?

Ich erzähle wilde Geschichte­n aus der Wunderwelt des italienisc­hen Musikzirku­s, zeige ein paar besonders eindrückli­che Plattencov­er und spiele auch immer wieder Lieder an. In Hamburg gibt es ein Drei-Gänge-Menü dazu, das habe ich aber nicht gekocht. Ebenso wie der Koch des Abends wenig Einfluss auf mein Buch hatte.

➤ Buch: „Azzurro – Mit 100 Songs durch Italien“, 368 Seiten, Kiepenheue­r & Witsch, 14 Euro

➤ Lesung: 30.6., 19 Uhr, ausverkauf­t

➤ Single: „Radio Gelato“von Mondo Sangue/Eric Pfeil

 ?? ??
 ?? ?? Natürlich spielt auch Gelato (Eis!) eine Rolle in Eric Pfeils (53) Musik-Buch.
Natürlich spielt auch Gelato (Eis!) eine Rolle in Eric Pfeils (53) Musik-Buch.
 ?? ?? „Azzurro – Mit 100 Songs durch Italien“: ein Reiseführe­r ohne Sehenswürd­igkeiten
„Azzurro – Mit 100 Songs durch Italien“: ein Reiseführe­r ohne Sehenswürd­igkeiten

Newspapers in German

Newspapers from Germany