Der Historikerstreit: Ein Wrack, aber zwei Theorien
Historiker Ralf Wiechmann: Das vor Wittenbergen gefundene Schiff war in den Sklavenhandel verstrickt
Der Roman von Jörgen Bracker wird am 17. Juli ab 14 Uhr im Museum für Hamburgische Geschichte der Öffentlichkeit vorgestellt. Ralf Wiechmann, stellvertretender Chef des Hauses, wird aus diesem Anlass eine Ansprache halten.
Das ist pikant, denn es fragt sich, was er sagen wird. Wie die MOPO erfuhr, teilt Wiechmann die Theorien seines einstigen Chefs nicht. Natürlich besteht auch für Wiechmann kein Zweifel daran, dass 1622 die „Hillighe Georg“in Neumühlen explodierte – aber der Historiker ist überzeugt, dass es sich beim Wrack von Wittenbergen um ein anderes Schiff handelt.
Laut Wiechmann haben Untersuchungen des Holzes aus dem Wrack ergeben, dass die für den Bau verwendeten Bäume 1571 gefällt wurden. Gezimmert wurde das Schiff dann wohl um 1580. Laut Wiechmann betrug die Lebenszeit von Schiffen zu jener Zeit nur in äußerst seltenen Fällen 40 Jahre oder mehr. Außerdem: Alle Gegenstände, die im Wrack von Wittenbergen gefunden wurden – Kanonen, Musketen
und Münzen –, stammen aus der Zeit zwischen 1560 und 1580. Das Schiff müsse also nach 1580, aber sicher nicht viel später als 1600 gesunken sein, so Wiechmann. Hoch spannend ist das, was der Historiker über das Kupfer an Bord sagt: Die Zusammensetzung einiger Barren aus dem Wrack sei identisch mit dem Kupfer sogenannter Manillen, die auf einem aus dem 16. Jahrhundert stammenden portugiesischen Schiffswrack vor den Kapverdischen Inseln gefunden wurden. Daraus schließt Wiechmann, dass das bei Wittenbergen gefundene Schiff ebenfalls eingebunden war in den Fernhandel mit Afrika.
Bei Manillen – Armreifen
aus Kupfer – handelte es sich um die erste allgemein austauschbare Währung Westafrikas. Die Portugiesen, die regen Handel mit dem Königreich Benin trieben, importierten Kupfer aus Deutschland zur Herstellung solcher Manillen und tauschten damit in Afrika Waren ein: Elfenbein, Gewürze, aber auch Gold und Sklaven.
Laut Wiechmann waren die Manillen zugleich das Rohmaterial für die berühmten Benin-Bronzen. „Die kontinuierliche Einfuhr von Gussmaterial durch europäische Kaufleute trug zum Aufschwung und damit zur Prachtentfaltung der Benin-Kunst bei.“Waffenschmuggel nach Spanien oder Sklavenhandel in Afrika – jetzt gibt es also zwei Theorien darüber, was es mit dem Schiffswrack von Wittenbergen auf sich hat. Spannend sind sie beide.
Was Professor Bracker zu all dem sagt? Er gibt sich völlig entspannt: „Dass sich Historiker mal kabbeln, das gehört dazu“, sagt er – und betont, dass er an seiner Theorie festhält. OW