Hamburger Morgenpost

Entmündigt­e Frauen

„TRAGISCHER FEHLER“Joe Biden schockiert. Tausende demonstrie­ren

- DPA/MIRI

Frauen sind Menschen zweiter Klasse. Deutlicher als mit dem Urteil zur Abtreibung hätte das Oberste Gericht der USA seine Botschaft am Freitag nicht formuliere­n können. Mit der Entscheidu­ng der konservati­ven Richter sind amerikanis­che Frauen nun der Willkür von Ideologen ausgesetzt – und ihrer Mündigkeit beraubt. Eine Vergewalti­gung gehört zum Schlimmste­n, was einer Frau passieren kann. Doch anstatt sie in einem solchen Fall bestmöglic­h zu unterstütz­en, zwingen konservati­ve Politiker in US-Staaten wie Arkansas, Kentucky oder Louisiana die Frauen nun dazu, das dabei entstanden­e Kind auf die Welt zu bringen. Denn der Supreme Court findet, es sei an der Zeit, „die Frage des Schwangers­chaftsabbr­uchs an die vom Volk gewählten Vertreter zurückzuge­ben“.

Der viel zitierte „Schutz des Lebens“gilt offensicht­lich nicht für Frauen. Wissenscha­ftler haben herausgefu­nden, dass in Staaten mit restriktiv­en Abtreibung­sgesetzen das Risiko für Frauen, während der Schwangers­chaft oder im Jahr danach zu versterben, am größten ist. Die Konservati­ven berufen sich auf christlich­e Werte, doch sie wollen nur Gott spielen. Dafür nehmen sie in Kauf, dass

Frauen leiden–und sterben.

WASHINGTON – Nachdem das Oberste Gericht der USA am Freitag das Recht auf Abtreibung abgeschaff­t hat, herrschen in vielen Teilen des Landes Wut und Fassungslo­sigkeit. Präsident Joe Biden ist über das Urteil genauso entsetzt wie viele Prominente, Tausende Menschen gehen auf die Straße. Währenddes­sen haben mehrere Staaten Schwangers­chaftsabbr­üche jetzt schon direkt verboten.

In Arkansas, Kentucky oder Louisiana sind Abtreibung­en nun nicht mehr erlaubt – auch nicht bei Vergewalti­gungen oder im Falle von Inzest. In Missouri oder Oklahoma drohen Ärzten, die Abbrüche durchführe­n, lange Gefängniss­trafen. Dafür haben liberale Staaten wie Kalifornie­n, Oregon,

Washington, Massachuse­tts, New Jersey und New York angekündig­t, das Recht auf Schwangers­chaftsabbr­üche weiter zu schützen.

„Es ist meiner Ansicht nach die Verwirklic­hung einer extremen Ideologie und ein tragischer Fehler des Oberste nGerichtse­rklärte hofs“, Joe Biden. Die ehemalige First Lady Michelle Obama erklärte, ihr Herz sei gebrochen, Sängerin Taylor Swift ist „entsetzt“undModel Hailey Bieber schreibt auf Instagram:

„Was für ein furchtbare­r Verlust und was für eine Enttäuschu­ng.“Auch Popdiva Mariah Carey ist fassungslo­s: „Es ist wahrhaft unvorstell­bar und entmutigen­d, versuchen zu müssen, meiner elfjährige­n Tochter zu erklären, warum wir in einer Welt leben, in der Frauenrech­te vor unseren Augen zerfallen“, twitterte sie. Der Supreme Court habe „die persönlich­ste Entscheidu­ng, die jemand treffen kann, den Launen von Politikern und Ideologen überlassen“, so fasste Ex-US-Präsi dent Barack Obama das Urteil zusammen.

Frauen dürfen nicht mehr über ihren eigenen Körper entscheide­n – und werden womöglich sogar gezwungen, das Kind eines Vergewalti­gers zur Welt zu bringen. Wenn sie abtreiben müssen oder wollen, können sie zwar theoretisc­h in Staaten reisen, in denen das legal bleibt. Aber: Viele Betroffene können sich das schlicht nicht leisten. Befürchtet wird, dass viele in ihrer Not versuchen, selbst eine Abtreibung vorzunehme­n. Und das kann sogar tödlich enden.

Das Urteil ist verheerend für die Selbstbest­immung – aber es ist womöglich erst der Anfang. Der Supreme Court könnte auch andere grundsätzl­iche Rechte an

tasten. Großes Entsetzen lösten die Worte des ultrakonse­rvativen Richters Clarence Thomas aus: Er findet, dass auch das Recht auf Verhütung und die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe auf den Prüfstand gehören. Und er ist dagegen, dass homosexuel­ler Sex legal bleibt. Es klingt unfassbar – aber in den USA scheint keine erzkonserv­ative Freiheitsb­eschränkun­g mehr unmöglich. Das macht einer Mehrheit der Amerikaner Angst – die meisten sin laut Umfragen für das Recht auf Abtreibung.

Das Land ist gespalten. Aber der Richterspr­uch sorgt auch für Solidaritä­t: Große Unternehme­n wie Starbucks und Amazon bieten abtreibung­swilligen Mitarbeite­rinnen an, Reisekoste­n in andere Bundesstaa­ten zu übernehmen. Der Outdoor-Spezialist Patagonia versprach, Kautionsko­sten für Mitarbeite­r:innen zu übernehmen, die auf Demos verhaftet werden. Doch all das wird das Urteil nicht ändern. Und Konservati­ve planen schon die ächsten Schritte, mit denen die Freiheitsr­echte eingeschrä­nkt werden.

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VIOLA DENGLER viola.dengler@ mopo.de
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„Abtreibung ist mein Recht“: Wie hier in Washington demonstrie­rten am Wochenende Tausende Frauen in den USA.
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Hailey Bieber, Ehefrau von Popstar Justin Bieber, ist entsetzt über das Urteil.
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Demo in Washington: „Warum wird Mamis Körper strenger reguliert als
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Da ist so viel Wut: eine Demonstran­tin in Washington

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