Im Rückwärtsgang in die Zukunft
KÜNFTIGE BILDUNGSPLÄNE Scharfe Kritik an Schulsenator Ties Rabe (SPD)
Rechtzeitig zum neuen Schuljahr beginnt die Debatte um die zukünftigen Bildungspläne für Hamburgs Schulen, die Ties Rabe (SPD) vor der Sommerpause vorgelegt hat. Der Schulsenator wird dabei mit den Schulleitungen über die zukünftigen Richtlinien für den Lernbetrieb der Zukunft diskutieren, bevor diese dann 2023 in Kraft treten sollen.
Die Fronten sind verhärtet. Die Verbände, die Lehrende und Lernende, Eltern und Schulleitungen vertreten und sich zu einem „Bündnis für zukunftsfähige Schulen in Hamburg“zusammengeschlossen haben, üben vernichtende Kritik an den Plänen aus dem Hause Rabe. „Inhaltlich total überfrachtet“seien sie. Die Schüler:innen würden so mit Fakten vollgestopft, als sollten ihre Hirne mit der Google-Suchmaschine konkurrieren. Die GEW spricht gar von einem „BulimieLernen“, das in den neuen Bildungsplänen verankert sei. „Wichtiger als Faktenwissen sind die Einordnung und Bewertung eines Stoffs, die eigene Positionsfindung und der verantwortungsvolle Umgang mit den neuen Medien im Zeitalter von Fake News“, erklärt Christian Gefert von der Vereinigung der Leitungen Hamburger Gymnasien und Studienseminare (VLHGS), die kommende Woche einen Termin bei Rabe hat. Für die „Ausbildung von Kreativität, kritischem Denken, Zusammenarbeit und Kommunikation“bliebe „aufgrund der Stoffverdichtung aber keine Zeit mehr“, beklagt Thimo Witting, Sprecher der Schulleiter:innen der Stadtteilschulen.
Rabe hingegen betont, der „Widerspruch zwischen Stofflichkeit und Kompetenzorierentierung“sei „konstruiert, den gibt es nicht“. Seinen Kritiker:innen wirft er vor, „so zu tun, als ob die Gegenwart völlig ohne Fakten auskomme“.
Doch nicht nur die Faktendichte, auch die Zahl der Klausuren will der Schulsenator erhöhen. Klausurersatzleistungen wie Referate oder Präsentationen werden nicht mehr akzeptiert. „Rabes didaktisch-pädagogischer Ansatz ist völlig überholt. Die geplanten Veränderungen führen zu einem Unterrichtsklima, das nicht lernförderlich ist und der individuellen Lernentwicklung zu wenig Raum lässt. Sie verhindern guten Unterricht“, fasst Kai Kobelt von der Lehrer:innenkammer die Kritik zusammen. Die Lernenden, befürchtet die Schüler:innenkammer, würden das als „kontinuierliches Gehetze von Thema zu Thema, von Klausur zu Klausur“empfinden. Jede Lernmotivation bleibe so auf der Strecke.
Rabe gibt zu, mit der Kritik „in dieser Schärfe nicht gerechnet zu haben“, und kündigt an, sich bei der einen oder anderen Leistungsanforderung mit seinen Kritiker:innen „auf halber Strecke treffen“zu wollen. Dass er bereit ist, ein wenig nachzujustieren, reicht vielen Schulleiter:innen nicht. „Es geht darum, die gesamten Pläne in eine andere Richtung zu bringen“, betont Gefert. Das aber schließt Rabe kategorisch aus: „Die Leitlinien der Bildungspläne stehen nicht zur Debatte.“GE W-Chef Sven Quiring ahnt deshalb: „Es wird
Carinis Rathaus-Insider
Kompromisse geben, was die Vielzahl der Klausuren betrifft, aber beim hinter den Plänen stehenden Bildungsbegriff, der nur auf Leistung und nicht auf individuelle Bildungsgerechtigkeit und Persönlichkeitsentwicklung abzielt, wird es schwierig, die Gräben zu überwinden.“Seine Prognose macht Sinn, wenn man die Einschätzungen der Kritiker:innen von Deutschlands dienstältestem Senator übereinanderlegt. „Rabe ist niemand, der neue Wege geht“, beschreibt Kobelt den Senator. Gefert betont: „Rabe ist ein Mann der Rezepte von vorgestern. Er erklärt einem, wie die Welt und die Schule funktionieren, und ist kaum bereit, seine Positionen mit der Praxis abzugleichen. Seine NeunzigerJahre-Pädagogik nimmt die neueste Forschung einfach nicht zur Kenntnis.“Thimo Witting geht da noch weiter: „Wenn wir, wie in den letzten 150 Jahren, den Fokus auf Faktenlernen richten, werden wir die starken Schüler:innen nicht zu Exzellenzen machen und die Schwächeren weiter abhängen.“Rabe tut vieles an der Kritik als „ideologisch motiviert“ab. So läuft alles auf einen Machtkampf hinaus. Als Bildungssenator hat Rabe die Macht, seine Konzepte auch gegen die Stimmen aller Interessenvertreter:innen des Bildungsbereichs durchzusetzen. Doch dann hätte er so ziemlich alle, die im Schulsystem Verantwortung tragen, zum Gegner – eine Frontstellung, die nur diejenigen stärkt, die meinen, nach elf Jahren Rabe sei es Zeit, frischen Wind durch die Schulbehörde wehen zu lassen.
Rabes Neunziger-JahrePädagogik nimmt die neueste Forschung einfach nicht zur Kenntnis. Christian Gefert