Hamburger Morgenpost

Behörden-Bullshit-Bingo Bremerhave­n

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Wenn ein Leuchtturm plötzlich schräg steht, ist das ein Problem. Ein Leuchtturm ist nicht nur ein Seezeichen, sondern auch ein Symbol. Für Standhafti­gkeit, für einen Fixpunkt im Sturm. Dass der Molenturm, 1914 erbaut, seit dieser Woche der „schiefe Turm von Bremerhave­n“ist und in die Mündung der Geeste zu kippen droht, kann man als Sinnbild verstehen. Für den Zustand der Seestadt Bremerhave­n, als dessen Wahrzeiche­n er galt. Im Hintergrun­d vieler Fotos sieht man die Masten historisch­er Schiffe, Kirmes und ein Riesenrad. Ein Stück weiter den Deich runter feiert man das Hafenfest „Maritime Tage“. Vorne kippt der Leuchtturm um. Willkommen in Bremerhave­n!

Ich mag die Seestadt sehr. Für mich ist sie Ruhrpott am Meer. Die Leute sind eher wenig norddeutsc­h, sondern herzlich. Hier wird hart gearbeitet, einst in den Werften,

in der Fischerei, in den Docks. Doch die Stadt hat es schwer, seit Schiffbau und Fischerei starben: Hohe Arbeitslos­igkeit, Kinderarmu­t – und obendrein Probleme, die so richtig niemand verstehen kann.

Der Molenturm ist das dritte Wahrzeiche­n der Stadt, das innerhalb weniger Monate vor aller Augen kollabiert. Zuerst die hölzerne Bark „Seute Deern“, die man jahrzehnte­lang mitten im Zentrum vergammeln ließ, bis sie im Hafenbecke­n sank. Dann die historisch­e Drehbrücke im Kaiserhafe­n. Nun der Leuchtturm.

Die Ursachen sind immer ähnlich, ich nenne es: Behörden-Bullshit-Bingo Bremerhave­n (BBBB). Mal fühlt sich die Stadt nicht zuständig, mal das Bundesland nicht – weil in Bremen nicht immer so recht interessie­rt, was in Bremerhave­n los ist – mal ist es dem Bund egal. Und dann warten alle ab, bis sich die Dinge von selbst erledigen. Also einstürzen. Die Stimmung in der Stadt liegt irgendwo zwischen Wut, Ohnmacht und Resignatio­n. „Typisch“ist das meistgenan­nte Wort, dass ich in den sozialen Netzwerken las. Man erwartet einfach gar nichts mehr, nicht von Verwaltung, nicht von der Politik.

Dass die Mole des Leuchtturm­s marode ist, weiß man seit sieben Jahren. So lange ist sie nämlich gesperrt. Seit vier Jahren gibt es Mittel, sie zu sanieren. Oberbürger­meister Melf Grantz (SPD) spricht von einem „Desaster mit Ansage“, auf das er immer wieder hingewiese­n habe.

Nun könnte man meinen, dass ein Oberbürger­meister durch sein Amt Befugnisse hat, die über das Anlecken von Briefmarke­n hinausgehe­n. Seine Aussage unterstrei­cht das eigentlich­e Problem (siehe „BBBB“). Wenn selbst der Oberbürger­meister hilflos erscheint? Ja bitte, wer ist es dann nicht? Die Bilder des schiefen Turms schafften es in die „Tagesschau“und in Zeitungen auf der ganzen Welt, von den USA bis Haiti. Wer das Image der armen Stadt am Meer ändern wollte, mit „Maritimen Tagen“, Marketing und dem Hinweis auf die (wirklich tollen) „Havenwelte­n“, der kann sich nun mit einer Buddel Köm an die Weser setzen. Das wird vorerst nix mehr.

Wer also trägt die Verantwort­ung? Der Chef der Bremenport­s, denen die Mole gehört, stand bei einer Pressekonf­erenz mit verschränk­ten Armen vor dem schiefen Turm. Man sei davon ausgegange­n, „sieben bis acht Jahre Zeit“zu haben für Neubau und Planung. „Jetzt ist uns der Turm zwei Jahre zuvorgekom­men“, analysiert Robert Howe.

Na klar, der Turm ist schuld. Einfach voreilig, dieser Backsteinl­ump. Kein Verlass. Vermutlich wird jetzt erst mal ein fachübergr­eifender Arbeitskre­is gegründet, wie man künftig diese rüpelhafte­n Türme ausbremsen kann. Die vier großen B, wie so oft.

Geschichte­n vom Meer erzählt von Stefan Kruecken, Ankerherz

 ?? ?? Schiefstan­d mit Ansage: Dass die Mole marode ist, ist seit sieben Jahren bekannt ...
Schiefstan­d mit Ansage: Dass die Mole marode ist, ist seit sieben Jahren bekannt ...
 ?? ?? Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet den Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeirep­orter für die „Chicago Tribune“und arbeitete als Reporter für Zeitschrif­ten wie „Max“, „Stern“und „GQ“von Uganda bis Grönland. Zuletzt erschien das Buch „Überleben im Sturm“über die Retter der RNLI.
Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet den Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeirep­orter für die „Chicago Tribune“und arbeitete als Reporter für Zeitschrif­ten wie „Max“, „Stern“und „GQ“von Uganda bis Grönland. Zuletzt erschien das Buch „Überleben im Sturm“über die Retter der RNLI.
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