Lebenslang für den Mord über den Wolken
AMSTERDAM Urteil nach dem Tod von fast 300 Menschen – aber die Verurteilten bleiben auf freiem Fuß
Vor acht Jahren trifft eine Rakete über der Ostukraine einen voll ausgebuchten Ferienflieger auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur. Knapp 300 Menschen kommen ums Leben, vier waren Deutsche. Die Tragödie hinterlässt nicht nur verzweifelte Angehörige, sondern auch viele Fragen. Vor allem: Wer ist schuld? Ein Gericht hat dies nun mit der Verurteilung von drei prorussischen Separatisten beantwortet.
Die Strafrichter des Hochsicherheitsgerichts in Amsterdam verurteilten die Männer gestern zu lebenslanger Haft, ein vierter Angeklagter wurde freigesprochen. Die meisten der 298 Opfer kamen aus den Niederlanden, deswegen fand der Prozess dort statt. Hunderte Angehörige nahmen an der Urteilsverkündung teil, weinten, als der Vorsitzende Richter die Entscheidungverlas.„Wirhaben acht Jahre und vier Monate auf diesen Tag gewartet“, sagt der Sprecher der Hinterbliebenen vor dem Urteil. „Wir hoffen, dass es ein Tag der Gerechtigkeit wird.“
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die beiden verurteilten Russen und ein Ukrainer für den Einsatz der Luftabwehrrakete verantwortlich waren, mit der die Boeing am 17. Juli 2014 abgeschossen wurde. Das Geschütz war dem Urteil zufolge vom russischen Militärstützpunkt Kursk in die
Ukraine geliefert und nach dem Abschuss wieder zurück über die Grenze gebracht worden. Die Theorie, dass eine ukrainische Rakete den Flieger getroffen habe, sei widerlegt worden. Abgehörte Telefonate gehörten zu den wichtigsten Beweismitteln in dem Prozess, der nach über zwei Jahren nun endlich sein Ende fand.
Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hatte das Verfahren erneut an Brisanz gewonnen, zumal Russland jegliche Beteiligung oder Verantwortung für den Absturz zurückwies. Aber: Das Gericht befand, dass Russland im fraglichen Zeitraum Kontrolle über die prorussischen Separatisten in der Ukraine ausgeübt habe. So habe es unter anderem regelmäßige Kontakte zur russischen Führung gegeben, der Kreml habe die Milizen militärisch unterstützt
und Anweisungen gegeben. Sprich: Ohne den von Putin angezettelten Krieg in der Ostukraine wäre es damals nicht zu dem Angriff auf den Passagierflieger gekommen. Wohl prominentester Verurteilter in dem Prozess ist Igor Girkin. Der ehemalige Oberst des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB führte 2014 prorussische Separatisten im Kampf gegen die ukrainische Armee an – und wurde in Russland als Kriegsheld gefeiert, galt als Gesicht der Separatisten. Seine Vision: ein russisches Nationalimperium. Den Kreml soll er bereits damals immer wieder zu einem Einmarsch in die Ukraine aufgefordert haben. Ob er es tatsächlich war, der den Abschuss von MH 17 angeordnet hat, ist bisher nicht an die Öffentlichkeit gesickert. Der Ultra-Nationalist soll sich ei
Wir haben acht Jahre und vier Monate auf diesen Tag gewartet.
Sprecher der Hinterbliebenen
nem russischen Freiwilligenbataillon in der Ukraine angeschlossen haben. Wie die anderen Verurteilten wird wohl auch er seine Haftstrafe nicht verbüßen. Keiner der Angeklagten hält sich in den Niederlanden auf, keiner ist vor Gericht erschienen – auch zur Urteilsverkündung nicht. Es ist daher unwahrscheinlich, dass sie demnächst tatsächlich hinter Gitter kommen. Moskau erkennt das Urteil nicht an und weist weiter jegliche Mitverantwortung für den Abschuss zurück.