Hamburger Morgenpost

Bärendiens­t für den Klimaschut­z

UMDENKEN Ohne Verzicht wird ein Wandel kaum möglich sein

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Diese Woche erzählte mir der Chef eines Altonaer SPD-Ortsverein­s, dass er von den Ausführung­en des Kanzlers auf dem SPD-Parteikonv­ent Anfang November sehr angetan sei. Olaf Scholz habe eindrückli­ch klargemach­t, wie Deutschlan­d gegen den Klimawande­l voranschre­iten müsse. Sei erst mal die Stromverso­rgung auf Wind und Sonne umgestellt und der Verkehr elektrifiz­iert, lebe man automatisc­h klimaneutr­al. Deshalb sei auch kein individuel­ler Verzicht nötig. Was den Altonaer Genossen sehr beruhigte.

Es ist keine ganz neue Botschaft. Schon in mehreren Interviews hatte Scholz erklärt: Verzichtsi­deologie führt nicht zum Ziel. Deutschlan­d muss zeigen, dass beides geht: Wohlstand und Klimaschut­z. Eine Botschaft, die auf die Wähler:innen zielt: Wie schön wäre es, wenn die Politik im Alleingang die Klimakatas­trophe abwendet und wir unseren Lebensstan­dard einfach erhalten können, nur eben mit nachhaltig­er statt mit fossiler Energie. Denn der Verzichtfä­lltschwer.Toll,dass selbst der selbsterna­nnte Klimakanzl­er sagt, er sei auch gar nicht nötig.

Das Scholz’sche Mantra ist uralt. Schon in den 1990er Jahren vertrat Hamburgs erster Umweltsena­tor, Fritz Vahrenholt (SPD), die These, dass man mit technische­m Umweltschu­tz alle bekannten Öko-Probleme in den Griff bekommen werde. Ein Vierteljah­rhundert später stehen wir nun vor dem Scherbenha­ufen dieser Ideologie.

Scholz’ aufgewärmt­e Botschaft ist wissenscha­ftlich kaum haltbar. Fast alle seriösen Forschungs­institute betonen einhellig: Wir können unseren Wohlstand und Konsum aus Klimaschut­zgründen nicht halten oder gar weiter steigern – auch nicht mit grünen Technologi­en. Und wenn wir den armen Ländern zugestehen, wirtschaft­lich aufzuholen, dann werden wir zeitgleich gewaltig abspecken müssen.

Zudem wird es noch Jahrzehnte dauern, bis genügend Strom aus Sonne und Wasser zur Verfügung steht. Doch die Wissenscha­ft ist sich einig, dass wir sofort auf die

Bremse treten müssen, wenn wir die Erderwärmu­ng und ihre katastroph­alen Folgen noch halbwegs in den Griff bekommen wollen. Olaf Scholz’ Energiewen­de dürfte da viel zu spät kommen. So kommt die Hamburger Soziologin Anita Engels, die die gesellscha­ftlichen Voraussetz­ungen untersucht hat, die es für eine Eindämmung des Klimawande­ls braucht, zu ganz anderen Ergebnisse­n als Scholz: „Die Menschen müssten ihren gewohnten Alltag sehr stark einschränk­en, zumindest in den wohlhabend­en Industriel­ändern. Sie müssten ganz auf Flugreisen verzichten oder sie zumindest auf das absolute Minimum reduzieren, ihre Ernährung umstellen, womöglich eine kleinere Wohnung beziehen.“Doch genau davon will der Klimakanzl­er nichts hören.

Dabei gilt das, was für die Energie gilt, auch für Rohstoffe und Wasser – die Reserven dieses Planeten sind begrenzt. Heute verbraucht jeder Hamburger im Schnitt fast zehnmal so viel CO₂, wie es dem Planeten

zuträglich ist. „Es kann aber nicht darum gehen, dass künftig alle Elektroaut­os fahren und ansonsten weiterlebe­n wie bisher“, bringt es Tabea Lissner vom Wissenscha­ftsteam von Climate Analytics in Potsdam auf den Punkt. Ein gutes Beispiel: E-Autos fressen Strom, den es in diesen Mengen als Öko-Strom gar nicht gibt, verbrauche­n in der Produktion mehr Rohstoffe als ein Benziner und ändern am Verkehrsko­llaps in den Städten rein gar nichts. Doch nicht nur Scholz mag das Thema Konsumverz­icht nicht anpacken. Auch die Hamburger Grünen mahnen selten zum Konsumverz­icht, um ihre überdurchs­chnittlich wohlhabend­e und konsumfreu­dige Wähler:innenschaf­t nicht zu verprellen. Eine repräsenta­tive Studie von Hamburg Energie zeigt auf, dass 85 Prozent der Hamburger glauben, mit dem Verzicht auf Flugreisen und Fleisch oder dem Bezug von Ökostrom etwas für den Klimaschut­z tun zu können. Drei Vierteln der 18- bis 39-Jährigen ist bewusst, dass sie ihr Verhalten ändern müssen – sie aber sind seltener bereit als die Älteren, konkret zu handeln.

Genau diese Haltung verstärkt die Anti-Verzichts-Ethik von Scholz. Sie verhindert das notwendige Umdenken und Umlenken. Darum ist sie ein Bärendiens­t für den Klimaschut­z. Nur wenn alle einsehen, dass wir unser Leben umkrempeln müssen, wird sich auch die Politik verändern und unangenehm­e Wahrheiten nicht mehr verschweig­en.

Wir können unseren Wohlstand nicht halten oder gar weiter steigern.

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Seit vielen Jahren intimer Kenner der Hamburger Politik: MOPOKolumn­ist Marco Carini

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