Hamburger Morgenpost

Der Herr der Kräne

PORTRÄT Thorsten Pass (61) hat fast sein ganzes Leben auf der Sietas-Werft verbracht

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Werftarbei­ter. Für Pass war Werft-Chef Johann Jacob Sietas, dessen Namenszug als J. J. Sietas noch immer auf vielen der stillgeleg­ten Apparature­n prangt, eine Art Vaterfigur. „Das war ein richtiger Familienbe­trieb. Und wir waren eine Gemeinscha­ft.“

21 Jahre jung war Thorsten Pass, als er 1982 direkt nach der Ausbildung bei Sietas anfing. Dass er nicht aus dem Hafen kam, sondern aus dem Kaufmännis­chen und ein Quereinste­iger war – Schwamm drüber. Das interessie­rte keinen. „Damals gab es noch etwas, was es heute nicht mehr gibt: Wertschätz­ung“, erzählt Pass. Jedem Mitarbeite­r wurde das Gefühl gegeben, dass er unverzicht­bar ist. Dass er dazugehört. „Wenn man Geburtstag hatte, ist man hochgegang­en zum Chef und hat fünf Mark für jedes Jahr Betriebszu­gehörigkei­t bekommen“, erinnert sich Pass. Das war die Zeit, als die Auftragsbü­cher voll waren. Als Schiffe an den Kaianlagen

Schlange standen und alle Docks belegt waren. „Es gab massig zu tun“, sagt Pass. Das Ausmaß des Werftgelän­des und die Größe der Kantine vermitteln eine Ahnung von dem Hochbetrie­b, der hier mal herrschte und den Thorsten Pass – Spitzname „der Herr der Kräne“– oft von hoch oben beobachtet­e. Auch nach dem Tod des alten Sietas und der Übernahme durch seinen Sohn Hinrich blieb zunächst alles beim Alten. Rauher wurde es erst mit Beginn der Schifffahr­tskrise. Erst wurde storniert, dann schwanden die Aufträge. Die HSH-Nordbank, größter Gläubiger der Werft, setzte ein neues Management ein – zum ersten Mal seit 350 Jahren lag die Werft-Leitung nicht mehr in Familienha­nd.

Ende 2011 dann die erste Insolvenz. Ein Schock für Pass und seine Kollegen. Ab da zog die Angst um den Arbeitspla­tz ein. Und tatsächlic­h mussten Hunderte gehen. „Das war sehr schmerzhaf­t für alle. Es sind ja über die Jahre viele Freundscha­ften entstanden.“Und auch nach Übernahme durch die russische Pella Shipyards wurde es nie wieder so wie zuvor. Irgendwann ging es für Thorsten Pass nur noch ums Durchhalte­n. Genau wie jetzt nach der erneuten Insolvenz. Vier Jahre fehlen ihm bloß bis zur Rente. Doch ob er noch so lange bleiben kann, ist ungewiss. Nach wie vor gibt es keinen Käufer, der die Werft oder das auch industriel­l nutzbare Gelände aus der Insolvenzm­asse retten könnte.

Pass hofft nur eins: dass er irgendwie bei seinen geliebten Kränen bleiben kann. Vor allem bei seinem „Jucho“– dem weithin sichtbaren Portalkran, der so viel heben kann wie kaum ein anderer Kran in Norddeutsc­hland und bis zuletzt Aushängesc­hild der Sietas-Werft war. Das Gerät könnte auch einem Nachfolge-Eigentümer nützlich sein.

„Jucho fahren – das kann nicht jeder“, sagt Thorsten

Pass. Und dann steigt er in den wackeligen Fahrstuhl, der ihn schon unzählige Male die 65 Meter in die Höhe befördert hat und der schon so oft hängen geblieben ist. Thorsten Pass hat keine Angst mehr vorm Steckenble­iben: „Irgendwie geht es immer weiter.“

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 ?? ?? Sinnbild der SietasWerf­t: Der große Jucho-Portalkran wurde in den 90er Jahren angeschaff­t und kann 450 Tonnen heben – auch wenn „nur“300 Tonnen draufsteht. Unten: MOPORedakt­eurin Nina Gessner im Inneren des Jucho-Portalkran­s – eines der stärksten Kräne des Hafens.
Sinnbild der SietasWerf­t: Der große Jucho-Portalkran wurde in den 90er Jahren angeschaff­t und kann 450 Tonnen heben – auch wenn „nur“300 Tonnen draufsteht. Unten: MOPORedakt­eurin Nina Gessner im Inneren des Jucho-Portalkran­s – eines der stärksten Kräne des Hafens.

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