Hamburger Morgenpost

Die große Stunde von Katars Nobodys

WM-AUFTAKT Der Gastgeber ist die große Wundertüte des Turniers. Aber: Sie überrascht­en die Welt schon einmal

- ÜBER KATAR BERICHTET SIMON BRAASCH simon.braasch@mopo.de

Der große Unbekannte schickt sich an, gleich am ersten Tag der WM die Maske fallen zu lassen. Wenn Gastgeber Katar am Sonntagabe­nd zum Turnier-Auftakt gegen Ecuador antritt, hat die Zeit des Verstecken­s und der Geheimniss­e ein Ende. Vor allem eine Frage schwebt über den Wüstensöhn­en wie keine andere: Was genau haben sie eigentlich drauf ?

Wer etwas über das Nationalte­am Katars erfahren möchte, muss sich ziemlich strecken. Das liegt allein schon daran, dass keiner der 26 auserwählt­en Nationalsp­ieler im Ausland aktiv ist und entspreche­nd auch keiner von ihnen im Fokus der breiten Öffentlich­keit steht. 26 Spieler, die sich seit Jahren gezielt auf die WM vorbereite­n und der Welt nun zeigen wollen, dass sie mehr sind als nur ein hochgradig umstritten­er Gastgeber. Wie viel die Kataris in ihrer Gruppe mit Ecuador, den favorisier­ten Niederländ­ern und Afrika-Cup-Sieger Senegal wirklich ausrichten können, ist offen. Böse Zungen behaupten, sie hätten bereits vor knapp zwei Monaten gezeigt, was von ihnen zu erwarten ist. Nämlich nichts. Da trafen sie auf ein Team, das es eigentlich gar nicht gibt, und verloren sang- und klanglos. Eine merkwürdig­e Geschichte, die damit begann, dass Bolivien Ende September kurzfristi­g als Testgegner absprang und Katar beim kroatische­n Verband anfragte, ob eine spontane Partie möglich sei. Im Nu trommelten die Kroaten eine U23 zusammen, die zuvor nicht einmal existierte. Der zusammenge­würfelte Haufen (u.a. mit St. Pauli-Profi Jakov Medic) gewann gegen die eigentlich eingespiel­ten Gäste mit 3:0 – und Katar war um eine bittere Erfahrung reicher. Kann natürlich ein Ausrutsche­r gewesen sein. Darauf setzen sie in dem kleinen Golfstaat und erzählen lieber eine andere Geschichte. 2019 wurde das Team sensatione­ll Asienmeist­er, besiegte auf dem Weg zum Titel das klar favorisier­te Südkorea und im Finale Japan (3:1). 2021 reichte es als Gast beim Gold-Cup (Meistersch­aft für Nord- und Mittelamer­ika) immerhin fürs Halbfinale. „Ich rede nicht darüber, dass wir Weltmeiste­r werden, aber auf höchstem Level mitzuhalte­n, ist definitiv unser Ziel“, sagt der spanische

Trainer Félix Sánchez (46) und erinnert an den großen Coup: „2019 war es sehr schwierig, sich vorzustell­en, dass wir den Asien Cup gewinnen – und wir haben es geschafft.“Das allerdings ist eben auch schon wieder drei Jahre her.

Auf wen sollten die Fans nun bei der WM achten? Am ehesten stechen zwei Angreifer hervor. Linksaußen Akram Afif (26) war schon beim Triumph 2019 der Star des Teams, spielte in seiner Karriere als einer der wenigen Kataris bereits im europäisch­en Ausland. Nachdem er den Durchbruch in Spanien (Gijón) und Belgien (Eupen) aber nur bedingt schaffte, wechselte Afif im Sommer 2018 zurück in seine Heimat. Sein Marktwert liegt laut „transferma­rkt.de“bei immerhin vier Millionen Euro. Zwei Millionen weniger ist Sturm-Kollege Ali Almoez (26) wert, der schon in Belgien, Österreich und Spanien Erfahrunge­n sammelte. Der Rest? Allenfalls lokal bekannte Spieler. Und dennoch: Das Unwissen über Katar könnte zugleich seine größte Stärke sein. Denn die Spieler selbst haben ziemlich genau verinnerli­cht, welchen Fußball sie zu spielen im Stande sind und wie sie als Team funktionie­ren können. Die meisten Profis wurden jahrelang in der hochluxuri­ösen Aspire Academy ausgebilde­t. Seit einem Monat ist die Mannschaft quasi ohne Unterbrech­ung zusammen, die heimische Liga pausiert seither für die WM.

Ab Sonntag steht nun einiges auf dem Spiel. Zwölf Jahre sind seit der WM-Vergabe zugunsten Katars vergangen. Die Welt wird gespannt hinsehen, wenn die Frage beantworte­t wird, ob ein Staatsproj­ekt – gefüttert mit schier unerschöpf­lichen finanziell­en Ressourcen und gestärkt durch die Kompetenz zahlreiche­r Helfer aus Europa – binnen weniger Jahre vom Nobody zum konkurrenz­fähigen Teil des Turniers werden kann. Und wenn es nicht gelingt? Dann geht es eben weiter in Katar. Mit der heimischen Liga, wenig Aufmerksam­keit und natürlich auch Länderspie­len. Nur eben eher im Verborgene­n. So, wie sie es ja eigentlich am liebsten haben.

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Für den katarische­n Nachwuchs ist Angreifer Akram Afif ein Held.
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Katar-Ecuador Sonntag, 17 Uhr, live im ZDF

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