Hamburger Morgenpost

Das seltsame Schweigen der Bundesregi­erung

TÜRKEI Erdogan und das Regime im Iran greifen Minderheit brutal an – und in Berlin passiert nichts

- BERLIN/ANKARA/TEHERAN –

Russlands Krieg gegen die Ukraine ist verbrecher­isch. Das sagt die Bundesregi­erung auch klipp und klar. Doch wenn die Türkei kurdische Zivilisten abschlacht­et, bleibt sie seltsam ruhig. Und auch der Iran wendet sich gegen Kurden – bisher ebenfalls folgenlos.

Die Kurden im Nahen Osten sehen sich einem Art Zangenangr­iff ausgesetzt: In Syrien und dem Irak bombardier­t das türkische Militär seit Tagen Stellungen der kurdischen YPG und der verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK – unter anderem in und um Kobane. Dabei sind mindestens 36 Zivilisten getötet worden. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan rechtferti­gt die Angriffe als „Abrechnung“für ein Bombenatte­ntat, das vor einigen Tagen Istanbul erschütter­te. Allerdings gibt es Widersprüc­he in der Darstellun­g türkischer Behörden und Kurden-Organisati­onen bestreiten jede Beteiligun­g – anders als in der Vergangenh­eit.

Im Iran gehen die Armee und die Revolution­sgarden des Regimes gleichzeit­ig mit brutaler Härte gegen die Proteste in der Stadt Mahabad vor, ebenfalls von Kurden bewohnt. Die Stadt gilt in Teheran als eine der Hochburgen der Proteste gegen die Mullahs. Der Nachrichte­nsender „Iran Internatio­nal“berichtet unter anderem von einem Vorfall, bei dem die Menschen für eine Ankündigun­g zusammenge­rufen wurden, die Soldaten aber dann wahllos das Feuer eröffnet haben sollen.

Die Bundesregi­erung hat zwar seit Beginn der Aufstände die Sanktionen gegen den Iran verschärft. Aber die Revolution­sgarden – die zentrale Stütze des Regimes – sind in der EU noch immer nicht als Terrororga­nisation eingestuft. Dabei ist es genau das, was sie momentan verbreiten: Terror.

Und auch im Fall der türkischen Angriffe bleibt die Bundesregi­erung bisher seltsam passiv. Bundesauße­nministeri­n Annalena Baerbock (Grüne) war zu den Vorgängen in den Kurdengebi­eten bisher nicht wahrnehmba­r. Es wirkt so, als wäre sie abgetaucht. Lediglich Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir (Grüne) hat bisher klar geäußert: „Erdogans Bomben auf Kurden, die IS-Terroriste­n erfolgreic­h bekämpft haben, sollen vom wirtschaft­lichen Desaster in der Türkei ablenken“, schrieb er auf Twitter. Dabei ist die Lage ziemlich eindeutig: Zwar beruft sich das Verteidigu­ngsministe­rium in Ankara erneut auf das Recht zur Selbstvert­eidigung der UN-Charta. Der Wissenscha­ftliche Dienst des Bundestags hatte in der Vergangenh­eit aber bei ähnlichen Einsätzen der Armee des NATO-Landes (beispielsw­eise in der syrischen Stadt Afrin) klar bezweifelt, dass diese mit dem Völkerrech­t vereinbar seien. Es habe zu keinem Zeitpunkt eine Bedrohung bestanden, die militärisc­hes Eingreifen erfordert hätte, hieß es in dem Gutachten.

Mit Spannung wurde erwartet, ob Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) bei ihrem zweitägige­n Türkei-Besuch, zu dem sie gestern aufbrach, deutliche Worte zu den Angriffen finden würde. Sie spricht mit ihrem türkischen Amtskolleg­en unter anderem über Terror- Bekämpfung.

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Ein Kraftwerk in den syrischen Kurdengebi­eten wurde vom türkischen Militär zerstört.
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Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) hält sich gerade in der Türkei auf.

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