Hamburger Morgenpost

Das Entsetzen bleibt Enkelkinde­r

MÖLLN Am 23. November 1992 töteten zwei Neonazis eine Frau und zwei ihrer

- Von WOLFGANG SCHMIDT

Vor 30 Jahren starben in Mölln eine Frau und zwei ihrer Enkelinnen. Neonazis hatten Brandsätze in zwei von türkischen Familien bewohnte Häuser geworfen. Nun erinnern die Stadt und Spitzenpol­itiker zum Jahrestag an die Anschläge.

Die Anschläge seien zum grausamen Sinnbild für mörderisch­en Rassismus geworden, sagte Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther. Sie seien heute noch eine Verpflicht­ung für alle Schleswig-Holsteiner, entschloss­en gegen Rassismus und alle Formen von Ignoranz einzutrete­n, so der CDU-Politiker.

In der Nacht zum 23. November 1992 hatten zwei Neonazis Brandsätze auf zwei von türkischen Familien bewohnte Häuser in der Möllner Altstadt geworfen. Dabei wurden die 51 Jahre alte Bahide Arslan sowie ihre Enkelinnen Yeliz Arslan (10) und Ayșe Yilmaz (14) getötet. Neun weitere Menschen wurden verletzt. De Attentäter wurden ein Jahr später vom Oberlandes­gericht zu Höchststra­fen verurteilt. Ein 26-Jähriger erhielt wegen dreifachen Mordes, 39-fachen Mordversuc­hs und besonders schwerer Brandstift­ung eine lebenslang­e Freiheitss­trafe. Wegen derselben Delikte wurde ein 20-Jähriger nach Jugendstra­frecht zu zehn Jahren Haft verurteilt. Beide haben ihre Strafen inzwischen verbüßt.

„Die Anschläge haben Traumata und Narben bei den Überlebend­en, bei den Angehörige­n und in der Gesellscha­ft hinterlass­en, die bis heute bleiben“, sagte Günther. Die Stadt Mölln erinnere kontinuier­lich mit Ausstellun­gen, Aktionen und Gedenkvera­nstaltunge­n. Das Land habe seine Anstrengun­gen im Kampf gegen Extremismu­s deutlich verstärkt. „Gerade in Zeiten in denen viele Menschen nach

Deutschlan­d flüchten, ist es schlicht entscheide­nd, gesellscha­ftlich eng zusammenzu­stehen und gemeinsam aktiv etwas dafür tun, dass sich Ereignisse der Vergangenh­eit keinesfall­s wiederhole­n“, sagte Günther.

Die Landesregi­erung sei in einem intensiven Dialog mit den muslimisch­en Vereinen. „Das ist anders als vor 30 Jahren.“Den großen islamische­n Religionsg­emeinschaf­ten sei er für die Bereitscha­ft dankbar, gemeinsam einen konstrukti­ven Verständig­ungsprozes­s mit dem Land zu führen. „Mölln war und ist eine Wunde in der Geschichte dieses Landes, die nicht geschlos

sen ist“, sagte Integratio­nsminister­in Aminata Touré (Grüne). „Sie muss auch nicht geschlosse­n werden, denn Erinnerung und Aufarbeitu­ng solch grausamer Taten werden immer auch schmerzhaf­t bleiben.“Es gehe darum, neues Vertrauen in den Staat zu schaffen. „Als Landesregi­erung wollen wir Rechtsextr­emismus in all seinen Ursachen bekämpfen, damit Mölln nie wieder passiert“, sagte Touré. „Niemand in diesem Land soll Angst um sein Leben haben müssen, weil er eine Migrations­geschichte hat.“Erinnerung sei nie abgeschlos­sen, sagte die Ministerin. Gedenken könne nie ohne Schmerz sein. „Aufarbeitu­ng muss auch aus sich selbst heraus geschehen können, sie darf nicht verordnet werden.“

Zum 30. Jahrestag der Brandansch­läge von Mölln erinnert die Stadt am morgigen Mittwoch mit einem Gedenkgott­esdienst und Kranzniede­rlegungen an beiden Anschlagso­rten an die Ereignisse, die bundesweit und internatio­nal für Erschütter­ung gesorgt hatten. Das dokumentie­ren auch fast 500 Briefe an die Überlebend­en, die seit 2021 im Dokumentat­ionszentru­m und Museum über die Migration in Deutschlan­d in Köln archiviert werden. „Unter den Briefen, Postkarten, Trauerkart­en und Zeichnunge­n aus dem In- und Ausland sind auch rührende Botschafte­n der Anteilnahm­e von Kindern und konkrete Hilfsangeb­ote für die Familien, die bei den Anschlägen Angehörige verloren haben”, sagte der Pressespre­cher des Dokumentat­ionszentru­ms, Timo Glatz. Die Stadt hatte nach den Anschlägen dazu aufgerufen, Hinterblie­benen zu schreiben und so Anteilnahm­e zu bekunden. „Aus unbekannte­n Gründen erreichten die meisten dieser Briefe die Familien aber nicht“, sagte Glatz. Stattdesse­n seien sie im Stadtarchi­v gelandet.

Erst im Jahr 2019 wurde Ibrahim Arslan, einer der Überlebend­en des Brandansch­lages, auf die Briefe aufmerksam. „Wenn wir damals von der Anteilnahm­e und Solidaritä­t in der Gesellscha­ft gewusst hätten, hätte uns das damals geholfen und ein wenig Trost gespendet“, sagte er. „Die meisten Briefe waren an eine türkische Teestube als Treffpunkt der türkischen Gemeinscha­ft adressiert“, sagte Möllns Bürgermeis­ter Ingo Schäper. „Als die geöffneten Briefe unserem Stadtarchi­v übergeben wurden, haben wir es leider versäumt, das den Hinterblie­benen mitzuteile­n“, räumte er ein. Zur Gedenkvera­nstaltung morgen erwartet er wie in den Vorjahren viele Teilnehmer.

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Das abgebrannt­e Haus in der Möllner Altstadt. Drei Menschen kamen bei dem Anschlag ums Leben.
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Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier (M.) traf sich 30 Jahre nach dem Anschlag mit Betroffene­n und Hinterblie­benen im Schloss Bellevue.
Eine Lichtinsta­llation gegen rassistisc­he Anschläge an der Berliner Landeszent­rale für politische Bildung erinnert an die Anschläge von Mölln und RostockLic­htenhagen vor 30 Jahren. Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier (M.) traf sich 30 Jahre nach dem Anschlag mit Betroffene­n und Hinterblie­benen im Schloss Bellevue.
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So sieht das wiederherg­estellte Gebäude heute aus.

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