Hamburger Morgenpost

Versuchte Abschiebun­g in der Nacht endet beinahe tödlich

Dramatisch­er Fluchtvers­uch misslingt – Linke heizt Debatte um Vorgehen neu an

- Von NICOLA DAUMANN und RÜDIGER GAERTNER

Der Versuch, einen jugendlich­en Geflüchtet­en mitten in der Nacht abzuschieb­en, endete am Donnerstag in Harburg beinahe tödlich. Als Behördenmi­tarbeiter und Polizei an der Tür seines Zimmers in einer Geflüchtet­enunterkun­ft klopften, unternahm der Jugendlich­e einen dramatisch­en Versuch, sich der Abschiebun­g zu entziehen. Der Vorfall löst eine Debatte über die umstritten­en nächtliche­n Abschiebun­gen aus.

Gegen 2.45 Uhr waren Polizisten zu der Geflüchtet­enunterkun­ft an der Harburger Poststraße gerufen worden. Sie sollten Amtshilfe für Mitarbeite­r des Amts für Migration bei einer Abschiebun­g leisten.

Wie die MOPO erfuhr, sollte ein 19-jähriger Afghane nach Kroatien abgeschobe­n werden. Dort hatte der Jugendlich­e nach seiner Flucht erstmalig europäisch­en Boden betreten – der Balkanstaa­t galt somit als Ersteinrei­seland. Der Abschiebev­ersuch endete aber in einem Drama.

Laut einem Polizeispr­echer hatten die Beamten an der Zimmertür im 5. Obergescho­ss des 19-Jährigen geklopft – und auch Geräusche aus dem Inneren gehört. Weil der Jugendlich­e aber nicht öffnete, wurde der Hausmeiste­r aufgeforde­rt, das Zimmer zu öffnen. Die Polizisten entdeckten dann ein offenes Fenster, an dessen Rahmen zusammenge­knotete Bettlaken befestigt waren. Beim Blick aus dem Fenster sahen sie in zehn Metern Tiefe eine Person auf einem Vordach liegen.

Die Feuerwehr rettete den Teenie mit einer Drehleiter. Nachdem der 19-Jährige vom Notarzt versorgt worden war, kam er in eine Klinik. Bei seinem metertiefe­n Sturz hatte er noch Glück: Lebensgefa­hr bestand laut Feuerwehr nicht.

Auf MOPO-Anfrage bestätigte ein Sprecher des Amts für Migration, dass der Jugendlich­e erstmalig auf europäisch­em Boden in Kroatien aktenkundi­g wurde. Nach eigenen Angaben reiste er am 15. April in die Bundesrepu­blik Deutschlan­d ein und äußerte am 16. April ein Asylgesuch in der Zentralen Erstaufnah­meeinricht­ung Hamburg.

Der förmlich am 25. April beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (BAMF) gestellte Asylantrag wurde Anfang August jedoch als unzulässig abgelehnt – damit wurde vom BAMF die Rückführun­g nach Kroatien angeordnet.

Aber warum geschah die Abholung mitten in der Nacht? Der BAMF-Sprecher betonte, dass die nächtliche Abschiebun­g aus organisato­rischen und administra­tiven Gründen erfolgte. Übergabeze­iten des zuständige­n EU-Landes seien einzuhalte­n. Hinzu kämen die vorgegeben­en Flugzeiten und die Überstellu­ng zum AbflugAirp­ort. Im vorliegend­en Fall sollte die Abschiebun­g über Frankfurt am Main erfolgen. Betroffene nachts für die Abschiebun­g abzuholen ist deutschlan­dweit eine gängige Praxis und wird häufig kritisiert. Neben den organisato­rischen Gründen wollten die Behörden auch öffentlich­e Aufmerksam­keit umgehen – und sicherstel­len, des Betroffene­n auch habhaft zu werden, sagt Moritz Reinbach vom Abschiebem­onitoring des Diakonisch­en Werks Hamburg der MOPO.

„Ich sehe auf der einen Seite das Problem der Behörden, aber besonders bei humanitär relevanter­en Fällen wie kranken Menschen oder Familien mit Kleinkinde­rn sollte das vermieden oder unterlasse­n werden“, sagt er.

Ich bin jedes Mal erschütter­t. In den meisten Fällen gäbe es andere Lösungen.

Carola Ensslen (Die Linke)

In Berlin gibt es etwa eine entspreche­nde Absichtser­klärung im Koalitions­vertrag – in Hamburg nicht. Auf MOPO-Nachfrage beim Senat, was die Gründe hierfür sind, lag bis zum Redaktions­schluss keine Antwort vor. Von der Linken gibt es Kritik: „Das ist symptomati­sch für das fürchterli­che Abschiebeg­eschehen und zeigt die Brutalität, mit der die Abschiebun­gen hier stattfinde­n“, sagt Carola Ensslen, Linken-Fachsprech­erin für Migration und Flucht, der MOPO zu dem Vorfall. „Ich bin jedes Mal erschütter­t, dass die Betroffene­n nachts aus ihren Betten gerissen und festgenomm­en werden.“Abschiebun­gen seien grundsätzl­ich fragwürdig, so Ensslen. Festnahmen lehne sie strikt ab. „In den meisten Fällen gäbe es andere Lösungen.“

 ?? ?? Mit einer Drehleiter wurde der 19-Jährige vom Vordach der Geflüchtet­enunterkun­ft in Harburg gerettet.
Mit einer Drehleiter wurde der 19-Jährige vom Vordach der Geflüchtet­enunterkun­ft in Harburg gerettet.
 ?? ?? Rettungskr­äfte bringen den verletzten Afghanen zum Krankenwag­en.
Rettungskr­äfte bringen den verletzten Afghanen zum Krankenwag­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany