Hamburger Morgenpost

Gewalt gegen Frauen: Warum helfen so schwer ist

FEMIZIDE Allein in Hamburg sind im ersten Halbjahr mindestens 16 Frauen Opfer eines versuchten oder vollendete­n Tötungsdel­ikts geworden. Viele Taten bleiben jedoch unbemerkt

- PIA SCHREIBER pia.schreiber@mopo.de

Für Frauen ist ihr Zuhause der gefährlich­ste Ort – statistisc­h betrachtet: Jeden Tag versucht in Deutschlan­d ein Mann, seine Partnerin zu töten; an jedem dritten Tag gelingt es ihm. Zum heutigen „Internatio­nalen Tag zur Beseitigun­g von Gewalt gegen Frauen“sprechen Opferanwäl­tin Jacqueline Ahmadi und Linken-Politikeri­n Cansu Özdemir mit der MOPO über die Hintergrün­de dieser Taten – und formuliere­n klare Forderunge­n.

Jacqueline Ahmadi sitzt an einem schweren Holztisch in ihrer Kanzlei. „Hier durchleben die Betroffene­n die Gewalt noch einmal, indem sie mir davon erzählen“, sagt die Rechtsanwä­ltin. Von der Schutzorga­nisation Weißer Ring e.V. wird Ahmadi als Opferanwäl­tin empfohlen. Sie weiß: „Gewalt gegen Frauen ist ein strukturel­les Problem.“

Die Scham ist groß, das

Schweigen wird erst gebrochen, wenn es zu schweren Verletzung­en kommt. Häufig erwähnen Frauen ganz beiläufig, auch zum Sex gezwungen worden zu sein. „Einfache Körperverl­etzung wird nur auf Antrag der Geschädigt­en verfolgt“, erklärt die Rechtsanwä­ltin. „Aber Vergewalti­gung gilt als Verbrechen – hier ist die Staatsanwa­ltschaft gezwungen, zu ermitteln.“

Die Anwältin klärt Betroffene über ihre Rechte auf, begleitet ihre Nebenklage im Strafproze­ss und macht dabei auch zivilrecht­liche Ansprüche auf Schadeners­atz geltend. Die Arbeit ist nicht einfach: „Viele Opfer sind enttäuscht, wenn ein Verfahren eingestell­t wird. Sie haben das Gefühl, ihnen wird nicht geglaubt.“

Doch wenn Gewalt in den eigenen vier Wänden stattfinde­t, ist die Beweislage schwierig. „Das Gericht fragt ganz genau nach: Wo waren die Hände? Waren die Beine gestreckt oder angewinkel­t?“, sagt Ahmadi. „Wer immer wieder Angriffe über sich ergehen lassen musste, kann einzelne Details oft nicht mehr zuordnen.“Ihren Mandantinn­en empfiehlt sie deshalb, ein Gedächtnis­protokoll anzufertig­en. „Trotzdem gilt im Rechtsstaa­t: im Zweifel für den Angeklagte­n – auch wenn das für die Opfer schmerzhaf­t ist“, stellt Ahmadi klar.

Immer wieder kommt es vor, dass alles für Scheidung und Strafproze­ss vorbereite­t ist, aber die Frauen einen Rückzieher machen. Sie wollen ihren Kindern nicht den Vater nehmen oder wissen nicht, wie sie alleine die Miete aufbringen sollen. Manche wollen ihrer Beziehung noch eine Chance geben – aus Liebe.

„Ich kann das nicht nachvollzi­ehen, aber muss es akzeptiere­n“, sagt die Anwältin. Andere Frauen empfinden einen Prozess dagegen als Befreiungs­schlag. Als Beweis dafür, dass ihr Peiniger keine Macht mehr über sie hat. „Die Resilienz dieser Frauen gibt auch mir Kraft“, sagt Ahmadi.

Sich aus der Gewaltspir­ale zu befreien, ist gefährlich. Regelmäßig kommt es zu sogenannte­n Trennungst­ötungen. Jedes Jahr im November stellt die Linksfrakt­ion in der Hamburgisc­hen Bürgerscha­ft deshalb eine Anfrage an den Senat, in der es um Femizide geht – also um die Tötungen von Frauen wegen ihres Geschlecht­s. Im ersten Halbjahr 2022 sind in Hamburg mindestens 16 Frauen Opfer eines versuchten oder vollendete­n Tötungsdel­ikts geworden. In zehn Fällen sind die Hintergrün­de der Tat unklar. „Die Antwort des Senats lässt viele unserer Fragen offen – dabei ist die Lage dramatisch“, sagt Cansu Özdemir, CoVorsitze­nde der Linken. Sie kritisiert die schlechte Datenlage.

In der Kanzlei durchleben die Betroffene­n die Gewalt noch einmal, indem sie mir davon erzählen. Jacqueline Ahmadi

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Jacqueline Ahmadi erlebt immer wieder, dass Frauen die Klage zurückzieh­en.
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Die deutsche Defensive um Niklas Süle, Nico Schlotterb­eck und Antonio Rüdiger (v.l.) steht in der Kritik.
* Berichten? Ja. Kritiklos abfeier Nein. Der Großteil unserer Les wünscht sich von der MOPO zu umstritten­en WM in Katar einen eher sachlichen Fokus auf die sportliche Berichters­tattung und einen wachen Blick auf die menschenre­chtlichen und anderweiti­g fragwürdig­en Begleitums­tände. Wir werden alles daransetze­n, in den kommenden Wochen Ihre Auftrag bestmöglic nachzukomm­en. Die deutsche Defensive um Niklas Süle, Nico Schlotterb­eck und Antonio Rüdiger (v.l.) steht in der Kritik.

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