Hamburger Morgenpost

Tödliche Resistenz

Gegen viele Erreger helfen Antibiotik­a nicht mehr. Die Folge: Tausende sterben jedes Jahr in Europa

- Von MONA WENISCH

Antibiotik­a gegen Viren? Nur die Hälfte der Europäer weiß laut einer Umfrage, dass das nichts bringt. Doch der unnötige Gebrauch von Antibiotik­a kann zu Resistenze­n führen – mit tödlichen Folgen.

Jedes Jahr erkranken nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) etwa 50.000 Menschen in Deutschlan­d an antibiotik­aresistent­en Erregern. „Davon sind circa zwei Drittel im Krankenhau­s erworbene Erkrankung­en“, so Tim Eckmanns, Leiter der Surveillan­ce von Antibiotik­aresistenz beim RKI. Etwa 2500 vom RKI erfasste Todesfälle gebe es jedes Jahr durch multiresis­tente Erreger. Das sind solche, die gegen mehrere Antibiotik­a gleichzeit­ig resistent sind. Deutschlan­d steht mit diesem Problem nicht alleine da: Im Europäisch­en Wirtschaft­sraum sterben nach Schätzunge­n der EU-Gesundheit­sbehörde ECDC jährlich mehr als 35.000 Menschen aufgrund von Antibiotik­aresistenz­en. Die gesundheit­lichen Folgen seien mit denen von Grippe, Tuberkulos­e und HIV/Aids zusammen, heißt es in einem Bericht der Behörde. Zwischen den Staaten gibt es demnach teils deutliche Unterschie­de, generell betrachtet liegen die gemeldeten Resistenzw­erte im Norden des Europäisch­en Wirtschaft­sraums (EWR) am niedrigste­n und in Ländern im Süden und Osten am höchsten.

Die geschätzte Zahl der Sterbefäll­e bezieht sich auf die Jahre 2016 bis 2020, sie zeigt eine Zunahme verglichen mit früheren Schätzunge­n. „Wir sehen besorgnise­rregende Anstiege bei der Zahl der Todesfälle, die auf Infektione­n mit antibiotik­aresistent­en Bakterien zurückzufü­hren sind“, erklärte ECDC-Direktorin Andrea Ammon. Es müsse mehr dafür getan werden, dass Antibiotik­a nicht unnötig zum Einsatz kommen. Gerade in Krankenhäu­sern zirkuliere­n oft Bakterien, gegen die kaum ein Antibiotik­um mehr wirkt. Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) sieht in wachsenden Resistenze­n eine große Gefahr. Von Antibiotik­a-Resistenz sprechen Experten, wenn Patienten auf ein Antibiotik­um nicht reagieren, das heißt, wenn die krankmache­nden Bakterien durch das Antibiotik­um nicht vernichtet werden.

Der Marburger Bund for

derte mehr Aufklärung zum richtigen Einsatz von Antibiotik­a. „Aufklärung und konsequent­e Einhaltung der Rezeptpfli­cht, die es aus guten Gründen gibt, müssen in ganz Europa gestärkt werden“, sagte die Vorsitzend­e Susanne Johna laut Mitteilung. Das nordrhein-westfälisc­he Gesundheit­sministeri­um wies auf die korrekte Einnahme und Wirkung von Antibiotik­a hin. „Gegen Viren, die mehr als 90 Prozent der Erkältunge­n auslösen, sind sie machtlos“, erklärt Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann (CDU). Wer ein Antibiotik­um erhalte, sollte es exakt nach Verschreib­ung einnehmen.

Doch nicht bei allen scheint dieses Wissen schon angekommen. Nur die Hälfte der Europäer weiß einer Umfrage zufolge, dass Antibiotik­a keine Viren töten, sondern nur gegen bakteriell­e Infektione­n wirken. Laut einer Eurobarome­ter-Befragung glauben 39 Prozent der Europäer, dass

Antibiotik­a gegen Viren helfen und 11 Prozent der Bürgerinne­n und Bürger gaben an, keine Antwort auf diese Frage zu kennen. Gleichzeit­ig nutzten 2021 nur noch 23 Prozent der Europäer Antibiotik­a – der niedrigste Wert seit 2009. Deutschlan­d gehörte mit 15 Prozent zu den Ländern mit einer besonders niedrigen Rate.

Generell stehe Deutschlan­d zurzeit gut da. Bis auf zwei resistente Erreger – die sogenannte­n VRE und Pseudomona­s – „steigt im Moment gar nichts in Deutschlan­d an“, sagte RKI-Experte Eckmanns. Dafür sei aber eine „Daueranstr­engung“nötig. Neben Hygienemaß­nahmen und dem umsichtige­n Einsatz von Antibiotik­a brauche es in Zukunft auch neue Medikament­e. Das „Problem Antibiotik­aresistenz“werde man nicht irgendwann los, sagte Eckmanns. „Das ist nicht eine Pandemie, die irgendwann enden wird.“

Wir sehen besorgnise­rregende Anstiege bei der Zahl der Todesfälle durch antibiotik­aresistent­e Bakterien.

Andrea Ammon, Direktorin der EU-Gesundheit­sschutzbeh­örde

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Eine große Gefahr: Viele Krankenhau­s-Keime sind bereits resistent gegen Antibiotik­a.
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Andrea Ammon arbeitet für die EUGesundhe­itsbehörde.

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