Hamburger Morgenpost

Katar spricht jetzt von „400 bis 500“WM-Toten

Organisati­onschef sorgt mit neuen Zahlen für Aufsehen

- Von NILS WEBER

Die Zahl der Qual – und kein Ende. In der ebenso schwierige­n, wie schmerzhaf­ten und zynischen Diskussion um die Zahl der Toten bei Bauarbeite­n im Zusammenha­ng mit der WM in Katar hat jetzt der Organisati­onsChef mit Aussagen für Aufsehen gesorgt, die die vorherigen Angaben des Ausrichter­landes und des Weltverban­des FIFA in einem anderen Licht erscheinen lassen. Die nun eingeräumt­e Zahl von Todesfälle­n übersteigt die vor Turnierbeg­inn genannte um das Zehnfache.

Längst geht es nicht mehr um Menschenle­ben und die Menschen, die diese Leben gelebt haben. Katar und die FIFA – das wird immer deutlicher – versuch(t)en alles, um die Zahl der Todesfälle von Arbeitsmig­ranten, die bei Bauarbeite­n für die WM tätig waren, so niedrig wie möglich zu halten. Durch Irreführun­g, Interpreta­tion, Spitzfindi­gkeiten. Wenige Tage vor Beginn der K.o.-Runde spricht der

OK-Chef plötzlich von mehreren hundert Todesfälle­n mit WM-Bezug. „Die Schätzung ist bei 400, zwischen 400 und 500. Ich habe die exakte Zahl nicht“, sagte Hassan al-Thawadi im britischen TV-Sender „Talk TV“, dessen Moderator ihn nach einer „realistisc­hen Zahl“jener Gastarbeit­er gefragt hatte, die „in den letzten zwölf Jahren bei Bauarbeite­n im Zusammenha­ng mit der Fußball-Weltmeiste­rschaft“und „infolge der Arbeiten für die WM“in Katar „ums Leben gekommen sind“. Unmittelba­r vor Turnierbeg­inn hatte die FIFA auf Basis der Daten des WM-OK erklärt, nur drei Menschen seien auf offizielle­n WMBaustell­en gestorben, weitere 37 WM-Arbeiter ohne Zusammenha­ng mit ihrem Job. Dazu muss man zwei Dinge wissen: Erstens beschränke­n sich diese Zahlen auf die Baustellen von Stadien, Trainingss­tätten und akkreditie­rten WM-Hotels, nicht aber auf ebenfalls WM-relevante Infrastruk­turprojekt­e, die zahl- und umfangreic­h waren. Zweitens werden Todesfälle von Arbeitsmig­ranten in Katar seit Jahren nicht richtig oder gar nicht untersucht. Nachlässig­keit? Desinteres­se? Absicht, um die tatsächlic­hen Todeszahle­n zu verschleie­rn?

In Katar beschäftig­te Gastarbeit­er aus Nepal berichtete­n der MOPO bei einem Treffen im Vorfeld der WM, dass bei vielen Todesfälle­n auf WM-Baustellen offiziell als Todesursac­he akutes Herzversag­en aufgrund natürliche­r Ursachen bescheinig­t wurde – auch in Fällen, in denen junge und eigentlich gesunde Männer nach Zwölf-Stunden-Tagen bei großer Hitze kollabiert­en. In der Statistik des WMOK, auf die sich auch die FIFA beruft, sind solche Fälle als „Non-Work-Related Death“verbucht, also nicht in Zusammenha­ng mit der Arbeit stehend. Das sei „gängige Praxis“, erzählten die Gastarbeit­er der MOPO. Das spricht für eine hohe Dunkelziff­er und eine Zahl von Todesfälle­n mit WMBezug, die weit über der nun eingeräumt­en Zahl von „400 bis 500“liegen dürfte.

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Glänzende Fassade: Die Stadien dieser WM haben nicht nur viele Millionen gekostet, sondern auch Bauarbeite­rn das Leben.
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FIFA-Präsident Gianni Infantino (l.) und Katars WM-Chef Hassan al-Thawadi

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