Katar spricht jetzt von „400 bis 500“WM-Toten
Organisationschef sorgt mit neuen Zahlen für Aufsehen
Die Zahl der Qual – und kein Ende. In der ebenso schwierigen, wie schmerzhaften und zynischen Diskussion um die Zahl der Toten bei Bauarbeiten im Zusammenhang mit der WM in Katar hat jetzt der OrganisationsChef mit Aussagen für Aufsehen gesorgt, die die vorherigen Angaben des Ausrichterlandes und des Weltverbandes FIFA in einem anderen Licht erscheinen lassen. Die nun eingeräumte Zahl von Todesfällen übersteigt die vor Turnierbeginn genannte um das Zehnfache.
Längst geht es nicht mehr um Menschenleben und die Menschen, die diese Leben gelebt haben. Katar und die FIFA – das wird immer deutlicher – versuch(t)en alles, um die Zahl der Todesfälle von Arbeitsmigranten, die bei Bauarbeiten für die WM tätig waren, so niedrig wie möglich zu halten. Durch Irreführung, Interpretation, Spitzfindigkeiten. Wenige Tage vor Beginn der K.o.-Runde spricht der
OK-Chef plötzlich von mehreren hundert Todesfällen mit WM-Bezug. „Die Schätzung ist bei 400, zwischen 400 und 500. Ich habe die exakte Zahl nicht“, sagte Hassan al-Thawadi im britischen TV-Sender „Talk TV“, dessen Moderator ihn nach einer „realistischen Zahl“jener Gastarbeiter gefragt hatte, die „in den letzten zwölf Jahren bei Bauarbeiten im Zusammenhang mit der Fußball-Weltmeisterschaft“und „infolge der Arbeiten für die WM“in Katar „ums Leben gekommen sind“. Unmittelbar vor Turnierbeginn hatte die FIFA auf Basis der Daten des WM-OK erklärt, nur drei Menschen seien auf offiziellen WMBaustellen gestorben, weitere 37 WM-Arbeiter ohne Zusammenhang mit ihrem Job. Dazu muss man zwei Dinge wissen: Erstens beschränken sich diese Zahlen auf die Baustellen von Stadien, Trainingsstätten und akkreditierten WM-Hotels, nicht aber auf ebenfalls WM-relevante Infrastrukturprojekte, die zahl- und umfangreich waren. Zweitens werden Todesfälle von Arbeitsmigranten in Katar seit Jahren nicht richtig oder gar nicht untersucht. Nachlässigkeit? Desinteresse? Absicht, um die tatsächlichen Todeszahlen zu verschleiern?
In Katar beschäftigte Gastarbeiter aus Nepal berichteten der MOPO bei einem Treffen im Vorfeld der WM, dass bei vielen Todesfällen auf WM-Baustellen offiziell als Todesursache akutes Herzversagen aufgrund natürlicher Ursachen bescheinigt wurde – auch in Fällen, in denen junge und eigentlich gesunde Männer nach Zwölf-Stunden-Tagen bei großer Hitze kollabierten. In der Statistik des WMOK, auf die sich auch die FIFA beruft, sind solche Fälle als „Non-Work-Related Death“verbucht, also nicht in Zusammenhang mit der Arbeit stehend. Das sei „gängige Praxis“, erzählten die Gastarbeiter der MOPO. Das spricht für eine hohe Dunkelziffer und eine Zahl von Todesfällen mit WMBezug, die weit über der nun eingeräumten Zahl von „400 bis 500“liegen dürfte.